: Besser scheitern
REVOLUTIONÄRER AKTEUR Die Banken sind gerettet. Slavoj Žižek ist empört und begibt sich erneut auf die Suche nach einem echten Volkshelden
VON INGEBORG SZOELLOESI
Die Dringlichkeit von Problemen wie das der Erderwärmung leuchtet allen ein. Trotzdem führt ein Klimagipfel wie der auf Bali nur zu dem Ergebnis, in zwei Jahren weiterreden zu wollen. Bei der Finanzkrise hingegen wird „sofort eine Summe aufgetrieben, die jenseits aller Vorstellungskraft liegt. Die Rettung bedrohter Tierarten, die Rettung des Planeten vor der globalen Erwärmung, die Rettung von Aids-Patienten oder von Kranken, die aufgrund des Mangels an Geld für teure Behandlungen oder Operationen sterben, die Rettung verhungernder Kinder – das alles kann ein bisschen warten, aber der Ruf ‚Rettet die Banken!‘ ist ein bedingungsloser Imperativ“, meint Slavoj Žižek.
Die Banken sind gerettet, alle weiteren Probleme vertagt – das ist der Status quo, der den zornigen Philosophen auf den Plan ruft. Der Professor von der slowenischen Universität Ljubljana wirft Fragen auf. Doch sehnen sich Menschen, die das Ungleichgewicht in der heutigen Welt spüren, nach Antworten. Mit Sätzen von Marx, Lenin, Rosa Luxemburg macht Žižek Mut: Zwar gebe es „keine klare ‚realistische‘ revolutionäre Perspektive“, doch „gibt uns nicht gerade das eine gewisse sonderbare Freiheit, die Freiheit zu experimentieren?“
Diese Freiheit kostet Žižek voll aus, wenn er sich auf seine gewagte Reise zu alten und neuen geistigen Horizonten aufmacht. Zwischendurch verliert er die Orientierung, tröstet sich aber alsbald mit Maos Slogan „Von Niederlage zu Niederlage zum Sieg“, ein Slogan, „der auch in Becketts Motto ‚Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern‘ nachhallt“ – und ein treffendes Motto für die Žižek-Lektüre abgibt.
Wie motiviert ein Philosoph seine Zeitgenossen für das Politische? Mit Freud, Lacan, Deleuze. Und wie schafft sich der beflissene Ideenbetrachter einen direkten Zugang zur Innenwelt jenes Protagonisten, von dem es heute heißt, er lebe angepasst und vegetiere im Bewusstsein dahin, das „Ende der Geschichte“ sei in der liberal-demokratischen Gesellschaft erreicht? Mit Platon, Hegel, Fukuyama.
Auf verlorenem Posten befindet man sich mit „Auf verlorenem Posten“ – Žižeks Buch ist für jeden, der intellektuell abheben will, um humane Lebenswelten für das „posthumane“ Subjekt zu erfinden, der höchste Genuss. Für den politisch engagierten Menschen, den unsere missliche Lage ernsthaft bekümmert und der nach lebbaren Alternativen sucht, ist es ein großes Ärgernis, ja – der reinste Hohn. Zugegeben, Žižek kennt seinen Badiou, frei und souverän komponiert er die anderen zu einem bunten interpretatorischen Flickenteppich zusammen. Doch an wem er damit vorbeidenkt, sind gerade jene, die er laut eigener Auskunft erreichen möchte – die links eingestellten Bürger.
„Heute sollte man diese Perspektive vollkommen verschieben und den Kreislauf des geduldigen Wartens auf die unvorsehbare Gelegenheit, durch einen gesellschaftlichen Zusammenbruch die kurzfristige Möglichkeit zur Machtübernahme zu bekommen, durchbrechen. Vielleicht, nur vielleicht, ist dieses verzweifelte Warten und die Suche nach dem revolutionären Akteur ja die Erscheinungsform seines genauen Gegenteils, nämlich die Furcht davor, ihn wirklich zu finden, ihn zu sehen?“
Žižek sucht zweifelsohne den „echten Volkshelden“, doch sucht er ihn nicht auf der Straße, sondern in Noam Chomskys „Necessary Illusions“, Walter Benjamins „politisch-religiöser Aussetzung des Ethischen“ und schließlich – wer kann es einem Philosophen verdenken – in Friedrich Nietzsches „Jenseits von Gut und Böse“. Mit einer Prise „Jenseits von Schuld und Sühne“ – Jean Améry sei Dank – würzt er seine Suche und frischt die Debatte mit Antonio Negri, Simon Critchly, Peter Hallward, Jonathan M. Katz und anderen auf.
Selbst im Kapitel mit dem viel versprechenden Titel „Was zu tun ist“ wimmelt es von Exkursen auf hohem Niveau, der in Aussicht gestellte Auftritt des „revolutionären Akteurs“ allerdings gerät ins Hintertreffen.
In Abwandlung des Diktums „Gebt der Diktatur des Proletariats eine Chance!“, mit dem Žižek offenkundig sympathisiert, ist schließlich nur noch der intellektuelle Imperativ „Gebt der Diktatur des Zitats eine Chance!“ glaubwürdig. Und der große Frust bleibt nicht aus: Zu Beginn des Buches wird ein „großes“ Versprechen formuliert, das am „Ende der Geschichte“ leer ausgeht. Die Notwendigkeit des Kommunismus in unserer heutigen Zeit sollte aufgezeigt und eine neue linke Strategie skizziert werden, der Sinn für die „große Sache“ geweckt. Wer dafür nicht bereit sei, so lautet Žižeks mahnende Gebrauchsanleitung, möge „aufhören zu lesen und das vorliegende Büchlein wegwerfen“. Wer dafür jedoch ernsthaft bereit ist, möge sich das Buch gar nicht erst kaufen.
■ Slavoj Žižek: „Auf verlorenem Posten“. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 14 €