Scheißkapitalismus

AMERICAN TRASH Der marxistisch und popkulturell inspirierte Künstler John Miller in der Kunsthalle Zürich

John Miller will niemandem gefallen, und das macht seine Kunst so erfrischend

VON DANIEL SCHREIBER

Tatsächlich ist nicht alles Gold, was glänzt – selbst wenn das Gold echt ist. Schon seit ein paar Jahren sind John Millers Müllcollagen ein Blickfang auf vielen Kunstmessen: Die elegant durchkomponierten Reliefs aus Plastikfrüchten, Mannequinbeinen, Schuhen, Kondomen, Musikinstrumenten oder Kalaschnikows werden von einer billigen Mischung aus Styropor, Papiermaché und Gips zusammengehalten. Eine gewissenhaft aufgetragene Blattvergoldung aber sorgt dafür, dass sie von außen so prachtvoll wie barocke Bilderrahmen schimmern.

Millers goldene Assemblagen, die oft die Titel amerikanischer Trash-Fernsehserien wie „The Young and the Restless“ tragen, sind ein Paradebeispiel für die Strategie, etwas so sehr zu affirmieren, dass man es wieder unterläuft. In den Boomjahren des Kunstmarkts produzierten viele Künstler sogenannte Messekunst – einfach zu transportierende, dekorative und mit wertvollen Materialien aufgepeppte Arbeiten, die sich teuer verkaufen ließen. Miller gab gar nicht vor, die Goldgräberstimmung konterkarieren zu wollen. Stattdessen imitierte er den Trend und führte dem Markt so seine Wirkungsmechanismen vor.

Man konnte kaum glauben, dass diese Arbeiten vom gleichen Künstler stammten, der vorzügliche, marxistisch angehauchte Essays schrieb und Mitte der 90er-Jahre mit Collagen hervorgetreten war, die er mit einer pastosen Braunfarbe überzog – dem „John-Miller-Braun“, einer im wahrsten Sinne des Wortes Kackfarbe. Offenbar sind Gold und Fäkalien nicht nur für Sigmund Freud zwei Seiten derselben Münze unserer kulturellen Neurose rund um Ökonomie und Geld. „Scheißkapitalismus“, das kann man ruhig wörtlich nehmen, wenn man sich Millers Werk anschaut.

Pornos und Gameshows

In der Kunsthalle Zürich, die dem 55-jährigen Amerikaner gerade seine erste große Retrospektive widmet, hängen nicht nur eine ganze Reihe dieser bitterbösen Objekte, sondern Miller hat extra für die Ausstellung auch eine raumfüllende, blendende Blattgoldlandschaft entworfen, die an eine archäologische Ausgrabungsstätte erinnert. Säulenfragmente – natürlich aus Plastik – kippen da auf Berge gut ausgesuchten Zivilisationskrams, ganz so, als wäre der Vesuv nicht in Pompeji, sondern über einem Anwesen in Los Angeles hochgegangen und hätte statt Asche Goldstaub ausgespuckt. Eine Ruine, die unser Wohlstandsbegehren so sehr der Lächerlichkeit preisgibt, dass es wehtut.

Früher hätte man jemanden wie Miller, der seit einem DAAD-Stipendium 1991 seine Zeit zwischen Berlin und New York aufteilt, wohl einen Misanthropen genannt. Auch das Etikett „gesellschaftskritisch“ hätte man auf ihn angewendet. Heute gilt jemand wie er wohl eher als eine Art Spielverderber. In der Kunsthalle lässt sich nachverfolgen, wie lässig er karikaturhafte Szenen aus Pornos und Gameshows auf große Leinwände übertrug und so der Konsumgeilheit nach warenhaftem Sex, billiger Unterhaltung und banalem Reichtum ein Schnäppchen schlug. Man kann sehen, wie er sich die schöne neue Welt von Neoliberalismus und Büropartys als öde Modelleisenbahnwüsten oder unappetitliche Wurstplatten-Skulpturen vorstellte. Miller will nicht gefallen, und das macht seine Kunst so erfrischend.

Vergleicht man die Ausstellung etwa mit der Sammelschau „Deterioration, They Said“ im Zürcher migros museum, fällt Millers Stärke als Künstler noch mehr ins Auge. Mit Videoarbeiten und Installationen von Ryan Trecartin, Cory Arcangel und Shana Moulton sind da US-amerikanische Künstler der nächstjüngeren Generation – alle zwischen 28 und 33 – zu sehen. Auch sie setzen sich mit der durchkommerzialisierten Billigbilderwelt auseinander. Doch wo es für die jüngere Generation darum geht, was mit ihnen selbst in einer solchen Welt geschieht, ist Millers Frage, was mit uns geschieht – mit uns als Kultur und als Gesellschaft.

Zu den bestechendsten Arbeiten, die in Zürich zu sehen sind, gehören Millers Fotos aus der Serie „The Middle of the Day“, an der er seit 1994 arbeitet. Es sind Fotos von Menschen und Szenen, immer zwischen zwölf und zwei Uhr mittags aufgenommen. In der Kunsthalle hat er die Bilder zu einer Diashow arrangiert. „The Middle of the Day“ ist kein August-Sander-mäßiges Panorama. Millers Blick auf die Wirklichkeit ist hart und unromantisch – gehetzte Arbeitnehmer nehmen in gleichförmigen Stadtlandschaften halbherzig eine Pause vom Büroarbeitsplatz, die eifrige Dienstleistungsgesellschaft ist müde geworden.

„Ich behaupte nicht, dass es mir mit meinen Fotos gelingt, das Alltagsleben der Massen zu porträtieren, vielmehr spielen sie durch ihre betonte Bedeutungslosigkeit auf diese Möglichkeit an“, meinte John Miller einmal über diese Fotoserie. Mehr könne Kunst heute auch gar nicht leisten, schien er damit wohl sagen zu wollen. Doch das ist schon sehr viel.

■ Kunsthalle Zürich: John Miller, bis 15. November