Staatsterrorismus half letztlich Greenpeace
Vor 20 Jahren versenkte Frankreichs Geheimdienst die „Rainbow Warrior“ und stärkte Neuseelands Antiatomkurs
AUCKLAND taz ■ Es ist zehn Minuten vor Mitternacht, als die erste Bombe explodiert. Die Erschütterung reißt Kapitän Peter Willcox aus dem Schlaf. „Im Schiffsrumpf klaffte ein Loch, so groß, dass man einen VW hätte durchfahren können“, erinnert sich der heute 52-Jährige. Das Schiff neigt sich, die Crewmitglieder retten sich an Land. Nur der Fotograf Fernando Pereira läuft zurück in seine Kajüte, um die Kameraausrüstung zu bergen. Da explodiert eine zweite Bombe. Pereira wird vom Wasser eingeschlossen und ertrinkt.
Am selben Abend hatte auf der „Rainbow Warrior“ ein Treffen von Skippern stattgefunden, die mit Greenpeace zum Mururoa-Atoll segeln wollten, um die französischen Atomwaffentests zu behindern. „Wäre die Bombe zwei Stunden früher explodiert, hätten 25 Menschen sterben können“, mutmaßt Willcox. Der Versammlungsraum war als Erstes überschwemmt worden.
Zum 20. Jahrestag des Anschlags vom 10. Juli 1985 ist der Amerikaner nach Neuseeland gekommen. Im Hafen von Auckland deutet er auf die Stelle, an der das Greenpeace-Schiff vor Anker lag. Zwei Tage nach dem Anschlag verhaftet die Polizei die französischen Geheimagenten Alain Mafart und Dominique Prieur. Es dauert zweieinhalb Monate, bis Frankreich die Verantwortung seines Geheimdienstes gesteht und dessen Chef Pierre Lacoste sowie Verteidigungsminister Charles Hernu zurücktreten müssen. Laut Lacoste sei auch Präsident François Mitterand eingeweiht gewesen.
Marelle Pereira, die Tochter des getöteten portugiesischen Fotografen, ist heute 28 Jahre alt. Sie ist enttäuscht, dass Mafart und Prieur nach drei Jahren Haft frei kamen und weitere Agenten nie verurteilt wurden. Wie sie fühlen viele Neuseeländer.
Der erste Terroranschlag in Neuseeland hatte das Land tief erschüttert. Zum 20. Jahrestag wird deshalb mit Zeitungsberichten, TV-Dokumentationen und Veranstaltungen daran erinnert. Der Sabotageakt verstärkte die öffentliche Unterstützung für die Antiatompolitik des Landes, das sich 1987 zur nuklearfreien Zone erklärte.
Für Bunny McDiarmid, die als einzige Neuseeländerin 1985 Mitglied der Crew war, ist die „Rainbow Warrior“ zu einem Teil von Neuseelands Geschichte geworden. Das Attentat hielt sie nicht von weiterem Engagement ab. Wenige Monate später segelte sie auf die Marshall-Inseln, um 350 Bewohnern des Rongelap-Atolls zu helfen, die zuvor von der „Rainbow Warrior“ von ihrer radioaktiv verseuchten Insel evakuiert worden waren. Seit 1985 war die 48-Jährige fast immer beruflich für Greenpeace tätig, derzeit koordiniert sie die Kampagne zum Schutz der Ozeane.
Greenpeace gewann durch den Anschlag internationale Aufmerksamkeit und viele neue Mitglieder. Seitdem wurden immer wieder Vorwürfe laut, die Organisation sei zu groß, zu angepasst oder zu langweilig geworden. Für die Boote jedenfalls gelte das nicht, findet Kapitän Willcox, der immer noch für Greenpeace arbeitet. Nach wie vor sei die Besatzung äußerst engagiert und die Einsätze seien nicht ohne Risiko. „Die vergangenen Wochen haben wir zum Beispiel bei rauer See in Schlauchbooten versucht, die Aktivitäten eines Schleppnetzkutters zu verhindern.“ Willcox hofft, dass sich die UNO von den auf See gemachten Fotos von Netzen voll seltener Korallen und anderer Meeresbewohner, die achtlos wieder ins Meer geworfen werden, überzeugen lassen und ein Moratorium für Schleppnetzfischerei auf hoher See verhängen.
1995 beendete Frankreich seine Atomtests im Pazifik. Bis heute leiden die Bewohner der Region unter den Folgen und kämpfen für Entschädigungen.
SILVIA LIEBERMANN