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Archiv-Artikel

„Wir haben uns danach gesehnt“

EXIL An den ersten demokratischen Wahlen in Libyen seit vierzig Jahren können auch im Ausland lebende Libyer teilnehmen. Eines von weltweit sechs ausländischen Wahllokalen ist in Berlin

Nuri Graibei

■ 58, organisiert in Zusammenarbeit mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) im Auftrag der libyschen Wahlkommision die Teilnahme der im Ausland lebenden Libyer an den bevorstehenden Wahlen.

INTERVIEW ALKE WIERTH

taz: Herr Graibei, warum wurde Berlin als einziger Wahllokal-Standort auf dem europäischen Kontinent für die Libyen-Wahl ausgesucht?

Nuri Graibei: Es gibt in Europa noch ein Wahllokal in London. Die Entscheidung über die Standorte wurde in Tripolis gefällt. Man will die im Ausland lebenden Libyer an dieser ersten demokratischen Wahl nach der Diktatur Gaddafis teilnehmen lassen. Daher wurden Länder ausgesucht, in denen viele Exillibyer leben.

Wie viele Exillibyer leben denn in Deutschland und in Europa?

Es leben etwa drei- bis fünftausend Libyer in Deutschland, einige zehntausend in Europa. In Berlin schätzen wir die Zahl auf über tausend.

Wer kann hier wählen?

Alle, die die libysche Staatsangehörigkeit besitzen und mindestens 18 Jahre alt sind. Militärangehörige dürfen an den Wahlen nicht teilnehmen, aber die gibt es im Ausland eigentlich nicht, außer vielleicht einigen Verletzten, die hier gepflegt werden.

Kann man sich als Exillibyer auch wählen lassen?

Nein, dafür muss man einen Wohnsitz in Libyen haben. Es gibt aber ehemalige ExilantInnen unter den KandidatInnen dieser Wahl, die nach Libyen zurückgekehrt sind.

Was genau ist Ihre Aufgabe?

Wir versuchen, die europäischen Exillibyer zu erreichen und zur Teilnahme an der Wahl zu motivieren. Das geht über persönliche Kontakte oder Informationsveranstaltungen in Exilantenvereinen bis hin zu Aufrufen. Auch über die Berichterstattung der Medien, etwa der libyschen Fernsehkanäle, kann man sich informieren.

Ist es schwer, Menschen zur Teilnahme an diesen Wahlen zu motivieren, die seit Jahrzehnten nicht mehr demokratisch mitbestimmen konnten?

Die Libyen-Wahl

■ Nach dem Sturz Muammar al-Gaddafis, der Libyen seit 1969 diktatorisch regierte, dürfen die LibyerInnen am kommenden Wochenende erstmals frei wählen. Gewählt wird eine Nationalversammlung, die dem Land eine demokratische Verfassung geben soll. 2,7 Millionen der insgesamt 3,4 Millionen wahlberechtigten LibyerInnen haben sich bisher registrieren lassen, 4.000 KandidatInnen stehen zur Wahl.

■ An weltweit sechs Orten außerhalb Libyens können Exillibyer ihre Stimmen abgeben. Das Berliner Wahllokal in der Straßburger Straße 56 in Pankow hat vom 3. bis 7. Juli geöffnet. Wahlberechtigt sind mindestens 18 Jahre alte libysche StaatsbürgerInnen. Die Autorisierung zur Wahl erfolgt am Wahllokal mit dem Nachweis der Identität und der Staatsbürgerschaft. Fahrtkosten für die Anreise müssen die WählerInnen selbst tragen. (akw)

Es ist etwas Neues – die Menschen sind nicht daran gewöhnt, nach ihrer Meinung gefragt zu werden. Gleichzeitig ist die Wahl etwas, wonach sich die Libyer seit Langem gesehnt haben.

Wie viele Menschen hoffen Sie zur Teilnahme zu bewegen?

Eine genaue Zahl kann ich nicht nennen, aber ich hoffe sehr, dass es möglichst viele sein werden. Es wird jetzt zunächst ein Übergangsparlament gewählt, das dem Land eine Verfassung geben soll. In einem Jahr finden dann erneut Wahlen statt. Ich denke, dass wir dann noch mehr TeilnehmerInnen motivieren können. Diese Wahl ist ein Schnitt zwischen der Vergangenheit, dem Gaddafi-System, und der Zukunft, in der gewählte Menschen regieren werden. Damit ist viel Hoffnung verbunden.

Was bedeutet Ihnen diese Wahl?

Ich lebe seit 34 Jahren in Deutschland. Das ist auch für mich die erste libysche Wahl – es ist ein schönes Gefühl.

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