berliner szenen: Nicht in meinem Vorgarten
Es ist kein Coronaphänomen. Schon seit einigen Jahren treffen sich Jugendliche abends in den uns umgebenden Parks. Sie „feiern“, das heißt, sie saufen, essen Pizza und lassen Müllberge zurück. Ätzend genug. Aber ab Mitternacht wechseln sie dann den Aufenthaltsort. Entweder weil die Polizei sie verjagt. Oder weil sie noch andere Leute treffen wollen. Die Straße, in der ich wohne, verbindet diese Parks. Und damit ist sie sozusagen das Aufmarschgebiet der nächtlichen Horden. Großgruppen von bis zu 50 Jugendlichen ziehen mit Alkohol und dröhnenden Musikboxen an unserem Haus vorbei. An Schlaf ist nicht zu denken.
Der Sohn unserer Nachbarn ist aus dem Alter solcher „Feierei“ mit seinen 21 Jahren schon raus. Er geht generell früh schlafen, und sein Zimmer liegt nach hinten. Jetzt zieht er um ins vordere Zimmer. Abends steht er auf dem Balkon und sieht sich das Geschehen auf der Straße an.
„Digga, ich glaub's nicht“, sagt er am nächsten Tag, als wir uns vorm Haus treffen. „Meine Eltern haben ja schon davon erzählt, aber ich hab mir das nicht so krass vorgestellt.“ Wir überlegen zusammen, was man dagegen tun kann. Mein Plan ist, einfach Luftballons aufzupusten und durch die Nacht zu schreien „Ruhe, oder ich schieße“, und die dann zu zerstechen. Er denkt über ein Spielzeugwassergewehr nach.
Ein paar Tage später sitze ich abends auf dem Balkon meiner Erdgeschosswohnung. Da steht plötzlich ein Typ im Vorgarten, vielleicht 15, 16 Jahre alt. „Wage nicht, hier hinzupissen“, sagte ich leise und drohend. Er schaut kurz hoch, bevor er seelenruhig direkt neben mir in den Vorgarten pinkelt. Ich werde laut, dann hysterisch, nehme den Krug mit Gießwasser und kippe ihn dem Typen entgegen. „Ey, ich bin doch gleich wieder weg“, sagt er total gechillt. Bevor er geht, schaltet er die Musikbox an. Gaby Coldewey
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