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: Das durch die Hinterzimmer schleichende Gift

„Affaire Blum“ (Deutschland (SBZ) 1948, Regie: Erich Engel). Die DVD ist ab rund 15 Euro im Handel erhältlich.

Fast ein Historienfilm, 1948, also noch vor Gründung der DDR, für die Defa gedreht: Der Blick geht zwanzig Jahre zurück. Aber alles andere als ein Film, der sich an der Verklärung der zwanziger Jahre versucht. Vielmehr wählt „Affaire Blum“ den Fall, der hier recht minutiös rekonstruiert wird, als exemplarische Erzählung aus der Vorgeschichte der Nazizeit.

Erfinden musste R. A. Stemmle für sein Drehbuch (er hat auch einen Roman daraus gemacht und die Geschichte 1962 noch einmal selbst für das BRD-Fernsehen verfilmt) so gut wie nichts: Was er erzählt, ist fast genau so geschehen, die Namen sind geändert, die Umstände waren so, wie Stemmle und der Film von Erich Engel sie schildert.

In die Geschichte der Weimarer Republik eingegangen ist der Fall als „Magdeburger Justizskandal“ oder auch „Affäre Haas“, er hat sich 1925 ereignet. Ein ehemaliger Freikorps-Mann begeht aus Geldgier einen Mord, den er einem völlig unschuldigen jüdischen Unternehmer anzuhängen versucht. Und beinahe gelingt es ihm, da der Staatsanwalt und weite Teile der Justiz wie der Politik rechtsextrem eingestellt sind und als Antisemiten den jüdischen Unternehmer (in der Realität: Rudolf Haas, hier: Jakob Blum) nur zu gern verurteilt sähen.

Erich Engel war als Regisseur am Theater berühmt. Früher Kollaborateur Brechts, seine Uraufführungsinszenierung der „Dreigroschenoper“ war einer der größten Erfolge des Theaters der zwanziger Jahre. Durch die Nazizeit kam Engel am Theater, wo er sich ab den späten Dreißigern auf Shakespeare konzentriert, ebenso wie als durchaus vielbeschäftigter Regisseur für die UFA, für die er Jahr für Jahr vor allem Lustspiele drehte. Er galt, wie auch R. A. Stemmle, als so unbeschadet, dass er in West wie Ost gleich weiterarbeiten konnte.

Noch 1945 wurde er, bevor er in der DDR wieder mit Brecht zusammenarbeitete, zum Intendanten der Münchner Kammerspiele ernannt. In dessen Ensemble spielte Hans Christian Blech, der in „Affaire Blum“ gleich in seinem ersten Spielfilm die Hauptrolle des Mörders Gabler übernimmt, um dessen Hals sich die Schlinge nach und nach, wenn auch viel zu zögerlich zuzieht. Die Vorgänge werden chronologisch berichtet: Von der Falle, die Gabler einem Arbeitssuchenden stellt, um dessen Kaution für den neuen Job willen er diesen tötet. Bei der Tat selbst bleibt die Kamera bewusst außen vor – in Fahrten an der Hauswand entlang zeigt sie, indem sie nicht zeigt, woran die Schüsse auf der Tonspur keinen Zweifel lassen.

Nicht brechtisch, sondern in einem mittleren Realismus-Register sind die einzelnen Szenen gefasst. Wobei sich die Tonarten durchaus etwas unterscheiden: Hans Christian Blech agiert in einem Kriminalfilm, der zwischendurch Richtung Thriller-Spannung tendiert. Die Darstellung der offen rechten und antisemitischen Justiz- und Politik-Bagage ist leicht satirisch überspitzt, ohne dass die Figuren zu reinen Karikaturen geraten: Die Charakterdarsteller Paul Bildt und Ernst Waldow dosieren das Dämonische gering und kitzeln das durch die Hinterzimmer schleichende Gift doch präzise heraus.

Inszeniert ist das Ganze gekonnt, aber eher routiniert als brillant. Von sozialistischer Propaganda bleibt der Film weitgehend frei. So gerät ein Kommunist namens Tischbein eher als Nebenopfer in die Rechtsintrige. Den Nationalpreis II. Klasse hat Erich Engel für den Film 1949 in der nun real existierenden DDR trotzdem gekriegt.

Ekkehard Knörer