piwik no script img

Archiv-Artikel

Permanent geliebt

Und jetzt auch „Lulu“: Theaterstücke als Fernsehfilme sind im Aufschwung. Dafür lassen sich Stars wie Jessica Schwarz gern einspannen – auch wenn es kein Geld gibt

„Ich wache jeden Morgen auf undhoffe, dass esnicht vorbeigeht“

VON CHRISTINE WAHL

Wie viele Varianten gibt es, einen folgenschweren Satz wie „Wir sind verraten“ zu sprechen? Jessica Schwarz kann innerhalb einer halben Stunde mindestens siebzehn: die resignierte, die provozierende, die coole, die verängstigte … Konzentriert sitzt sie auf einem Sofa im Haus Cumberland – einem einstigen Luxushotel am Ku’damm, das mit seinem erhaben verblichenen Charme zu einem der beliebtesten Berliner Drehorte avanciert ist – und spielt Betonungen und Gesichtsausdrücke durch. Uwe Janson, der Regisseur, hört mit Lust und Geduld zu: eine anregende, tief gründelnde Arbeitsatmosphäre, wie man sie mit dem schnellen Filmbusiness nicht auf Anhieb in Verbindung bringt.

Gedreht wird „Lulu“, 4. Akt, letzte Szene. Im Theater hat Frank Wedekinds personifizierte Männerfantasie zurzeit Hochkonjunktur. Die erste Garde deutscher Schauspielerinnen – Fritzi Haberlandt am Hamburger Thalia Theater, Anne Tismer an der Berliner Schaubühne und demnächst auch Julia Jentsch an den Münchner Kammerspielen – steht in der reichlich hundert Jahre alten „Monstretragödie“ auf der Bühne.

Dieser Boom, wehrt Uwe Janson ab, sei natürlich das Allerletzte, was ihn bewogen habe, den Stoff nun auch für den ZDF-Theaterkanal zu erschließen. Abgesehen davon, dass der Film bereits vor der Allgegenwart Lulus in deutschen Theatern geplant war, reize ihn Wedekind vor allem seiner formvollendeten Sprache wegen: „Amerikanische Kinofilme kann man ja mittlerweile mit einem Repertoire von dreihundert Englischvokabeln verstehen.“ Janson weiß, wovon er spricht. Er hat selbst diverse TV-Unterhaltungsfilme gedreht. Mit seinem Drehbuch zu „Lulu“ ist er hundertprozentig am Wedekind’schen Duktus geblieben; hat dem Drama keine zeitgemäße Sprache aufgezwungen, sondern lediglich die obligaten Striche gemacht.

Und Lulu? Die soll bei Janson weder bloße Projektionsfläche für reflexartig die Hosen fallen lassende Triebopfer wie Fritzi Haberlandt sein noch die verrutschte, durch die Frauenversteher-Brille inszenierte Femme fatale wie Anne Tismer. „Ich habe in ihr einen Menschen gefunden, der permanent geliebt zu werden einfordert und von diesem Anspruch bis zum Schluss nicht runtergeht“, erklärt der Regisseur, der für sein Projekt ein branchenunübliches Arbeitsverfahren entwickelt hat: Gedreht wird chronologisch; ein Akt pro Woche und bis zu siebzehn Minuten am Stück.

Dass es für diese Lust am ästhetischen Experiment und an der Sprache allen sich hartnäckig haltenden Gegengerüchten zum Trotz ein Publikum gibt, hat die Resonanz auf Projekte wie „Baal“ – Jansons Erstling für den Theaterkanal vor zwei Jahren – deutlich gezeigt: Die Symbiose von Theater und TV ist im Aufwind. Drei Produktionen hat der Theaterkanal in Arbeit. Neben „Lulu“ entsteht unter der Regie von Hardi Sturm Maxim Gorkis „Nachtasyl“, und Leander Haußmann stellt sich der obligaten Herausforderung zum Schiller-Jahr und verfilmt mit Katharina Thalbach und August Diehl „Kabale und Liebe“.

Dass Besetzungen wie Jessica Schwarz dabei natürlich nicht von Nachteil sind, gilt als unbestritten. Für Jessica Schwarz, die noch nie eine Theaterrolle gespielt hat, bedeutete „Lulu“ eine völlig neue Herausforderung. Bestechend offensiv geht die 28-Jährige mit ihren Ängsten vorm ersten Drehtag um, an dem sie im Kreise so bühnenerfahrener Kollegen wie Alexander Scheer oder Max Hopp zur Leseprobe antrat: „Ich dachte die ganze Zeit nur: Oh Gott, die denken jetzt alle, da haben wir wieder so ein Filmmäuschen bei uns sitzen, auch noch Viva-Moderatorin – bloß nichts sagen!“ Inzwischen – wir zählen den achtzehnten von zweiundzwanzig Drehtagen – wache sie „jeden Morgen auf und hoffe, dass es nicht vorbeigeht“.

Für „Lulu“ hat Jessica Schwarz andere Filmangebote ausgeschlagen, obwohl sie hier keinen Cent Geld verdient: Die Schauspieler und der gesamte künstlerische Stab haben auf ihre Gagen verzichtet, da für das Projekt ein Gesamtbudget von gerade mal 600.000 Euro zur Verfügung steht. In der Regel schlage ein „Neunzig-Minüter“, so Joachim Kosack von der Produktionsfirma teamWorx, mit mindestens 1,3 Millionen zu Buche. Anspruch als Luxusgut: Bislang hieß es immer, Qualität habe ihren Preis. Mittlerweile scheint sie, und da bildet die anspruchsvolle Filmproduktion ja leider keine Ausnahme, nur noch zum Nulltarif zu haben zu sein – nämlich auf der Seite derer, die sie schaffen.

Mittlerweile ist „Lulu“ abgedreht. Ein Sendetermin steht noch nicht fest.