berliner szenen: Tanz auf dem Vulkan
Um drei Uhr morgens wirken die Straßen rund um den Rosenthaler Platz wie ein Laufsteg: Eine Frau in hautengengem weißen Minikleid und schwarzen Zehn-Zentimeter-Stilettos erkämpft sich – auf eine Freundin in Turnschuhen gestützt – jeden Schritt, eine Gruppe junger Menschen mit Mini-Lautsprecher trippelt in Tanzschritten über die Straße, brüllt den Refrain: „I can’t get enough“ mit und kann gerade noch rechtzeitig einem schnell fahrenden Auto ausweichen.
Wir waren auf einem vierstündigen Literatursalon im Acud und sind noch immer vollkommen benommen von allen Eindrücken. Einzelne Textsequenzen, Sounds und Bilder hängen uns nach. So sehr, dass wir beschließen, noch ein letztes Bier zu trinken, um runterzukommen, ehe sich unsere Wege trennen. Ich war die ganze Coronazeit so gut wie nie weg und merke, dass ich es nicht mehr gewöhnt bin, so viel aufzunehmen. Beim Beobachten der Feierwütigen kann ich kaum fassen, wie normal es für alle anderen scheint, auszugehen wie eh und je, eng umschlungen, ohne Masken, ohne Abstand. Ganz so, als gelte es nach den Lockdowns alles an Eindrücken und Exzessen nachzuholen, alles was geht mitzunehmen. So, als habe es Corona nie gegeben, als sei es besiegt, als gäbe es kein Delta, als folge auf diesen Sommer kein Herbst.
Als wir unser Abschiedsbier ausgetrunken haben, beteuern wir, uns bald wieder zu treffen. Ich meine: „Bitte vor dem nächsten Lockdown.“ Die eine Freundin nickt. Die andere meint: „Ein richtig harter Lockdown wird doch wohl kaum noch einmal verhängt. Zumindest wird man dieses Mal sicher noch Menschen treffen können.“ Ich betrachte zwei Mädchen, die sich eine Zigarette teilen, und zucke die Achseln: „Das dachten letzten Sommer aber doch auch fast alle.“
Eva-Lena Lörzer
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