: Ein Krieg ist ausgebrochen
BÜHNE Schüler und Schülerinnen setzen sich im Rahmen eines Theaterprojekts mit dem Thema Amoklauf auseinander. Was bewegt die Theatergruppe „Rote Zitadelle“?
VON BENJAMIN EICHLER
Ein Tag wie jeder andere an einem Morgen in einer Schule in Bremen. Das Klingeln des Gongs ruft die Schülerschar zurück in den Klassenraum. Doch dann: Schüsse fallen, Schreie erklingen. Sieben Schüler sitzen über Stunden in einem Raum fest und wissen nicht, was um sie herum passiert. Das Stück „Ich wollt ich wäre ein Stein“ der Theatergruppe „Rote Zitadelle“ erzählt die Geschichte einer Gruppe von Schülern, die sich während eines Amoklaufs in ein Klassenzimmer flüchten.
„Warum will das Publikum so etwas überhaupt auf einer Bühne sehen?“, fragt eine Sprecherin zu Beginn des Stücks. Dabei ist die Frage doch, was die 15- und 16-jährigen Schüler bewegt, sich mit einem Thema wie dem Amoklauf in der Schule auseinanderzusetzen?
Dass dies kein einfaches Stück ist, darüber sind sich die Zuschauer im Klaren. Nachdem alle Charaktere in kurzen Videoclips vorgestellt wurden, sehen wir sie gemeinsam im Klassenraum. Eine von ihnen ist Ronja. Sie ist 16 Jahre alt und fürchtet sich vor dem Fremden und Unerwarteten. Eine andere ist die 15-jährige Sonja. Sie ist diejenige in der Gruppe, die für jeden Verständnis aufbringen kann – was ihr selbst jedoch fehlt, ist jemand, dem sie sich anvertrauen kann. Sie alle sind ganz normale Teenager mit ganz normalen Träumen, und trotzdem ist jeder auf seine Art und Weise besonders.
Nachdem Schüsse auf der Bühne zu hören waren, sieht man die Schüler eingeschlossen in ihrem Klassenraum. Ein Teil von ihnen weint, während es zu einem zum Streit darüber kommt, ob es nicht besser wäre, aus dem Klassenraum zu fliehen. Die Tür des Raums ist das Zentrum des Geschehens – alle Aufmerksamkeit richtet sich auf sie. Es wird nicht deutlich, was hinter ihr passiert, mal sind Schritte zu hören, dann herrscht wieder Stille. „Da war was!“ – „Nein, da war nichts!“ Immer wieder die gleiche Frage.
Die Erzählung im Klassenraum wechselt mit pastellfarbenen Traumsequenzen. Sie zeigen die Jugendlichen in ihren eigenen heilen Traumwelten, frei von Problemen und Sorgen. Das Stück zeigt keine Jugendlichen, die versuchen, wie Erwachsene zu klingen. Stattdessen sind sie ganz sie selbst, reden wie auf dem Schulhof. Die Handlung ist reine Fiktion, aber es könnte alles so passieren. Das glauben am Ende auch die Zuschauer.
Mitten in Deutschland ist ein Krieg ausgebrochen. Gemeinsam mit dem Dramaturgen Klaas Bartsch entwickelte die Theatergruppe das Stück. Das Konzept entstand während vier Schreib-Workshops zwischen November 2011 und Januar 2012, erzählt Klaas Bartsch. Der 24-Jährige ist Student der Kulturwissenschaften in Hildesheim und für die Texte im Stück verantwortlich. Aus dem ursprünglichen Thema „Isolation“ entwickelte sich in vielen Gesprächen mit den Jugendlichen das Thema „Anders sein“ heraus. „Eigentlich waren es mehr Rede-Workshops, denn die Jugendlich fanden großes Interesse am Thema“, sagt der Dramaturg. Als sich schließlich ein großer Stapel mit Ideen angesammelt hatte, konnte er einige von ihnen nicht für das Stück berücksichtigen. „Die Jugendlichen hatten sich so in das Thema eingefühlt, dass manches zu viel von ihren persönlichen Ängsten und Gefühlen preisgegeben hätte.“
Nach dem Studium von Geschichten über Amokläufe an Schulen schrieb Bartsch schließlich sein Stück. Dabei habe er vermeiden wollen, dass ein Massaker als glorifizierendes Finale verstanden werden könnte. Im Stück passiert stattdessen etwas Unvorhersehbares: Der Verdacht fällt auf ein Mädchen. Es zeigt sich, dass die Gefahr nicht, wie befürchtet, draußen vor der Tür wartet – sie ist die ganze Zeit im Klassenraum.
■ weitere Aufführungen: Freitag, 10 Uhr, Dienstag, 10. Juli, 10 Uhr & Samstag, 14. Juli, 20 Uhr, Zionskirche, Kornstraße 31