: Der Bär trägt jetzt Hörner
Am letzten Wochenende feierte Berlins Aushänge-Modemesse „Bread & Butter“ ihre Premiere in Barcelona. Und irgendwie war alles dort wie hier – hip, größenwahnsinnig und ein bisschen gaga
VON JULIA MACHER
Urbane Kultur? Das ist Sand auf Asphalt schütten und riesige Tierfiguren aus weißem Plastik bemalen. Von jedem Versuch, die Streetwear-Messe Bread & Butter in ihrem Anspruch, Spiegel des urbanen Lifestyle zu sein, ernst zu nehmen, bleibt das, und nur das. Da unterscheidet sich die erste barcelonesische Ausgabe der „Tradeshow for Selected Brands“ nicht groß vom Berliner Original: Hübsche Menschen lümmeln auf Liegestühlen, während zwei gülden gekleidete Künstler an einem bulligen Bären mit Stierhörnern werkeln. Das Plastiktier als schönes Bild für die symbiotische Verbindung von Berlin und Barcelona – so haben sich die Veranstalter das wohl gedacht. Dumm nur, dass die Katalanen auf gehörntes Viehzeug weniger gut zu sprechen sind, steht der Stier doch für den muskelbewehrten zentralspanischen Staat.
Aber die Bread & Butter ist ein internationales Event, und Nationalismen jedweder Couleur sind hier fehl am Platz. In der größten Messehalle kündet schon die Ausstellungstopografie vom Verschmelzungswillen: Barcelonesische kreuzen sich mit Berliner Straßen. Die Labels für gehobenen Lifestyle haben an der Carrer d’Aragó und der Friedrichstraße Quartier bezogen. Custo Dalmau, der mit seinen bunt bestickten und bedruckten T-Shirts den internationalen Ruf der neuen Modestadt Barcelona mit begründet hat, residiert auf herrschaftlichen 250 Quadratmetern Unter den Linden – direkt gegenüber vom Noppenschläppchenfabrikanten Camper, dem anderen renommierten Exportartikel „made in Spain“. Die Fashion-Community der Thirtysomethings zeigt grenzüberschreitend uniform: Frau trägt weitschwingende Ethnoröcke, bei denen der Bund fünf Finger breit über dem Schambein sitzt. Mann kombiniert ganz casual Zehensandalen zu Leinenhemd und Jeans, deren umgeschlagenes Bein die Ziernaht der Innenseite enthüllt. Hier ist weder Barcelona noch Berlin. Hier ist Bread & Butter.
„Ich hatte Momente, da wusste ich gar nicht, ob ich in Berlin oder Barcelona bin“, schwärmt Kristyan Geyr, Creative Director des Events. Für ihn atmen beide Städte „den gleichen Geist“, ähnelt der Industriecharme der Fira-Hallen dem der Berliner Kabelwerke. Warum die Wahl für den Zweitsitz der Messe auf die In-Metropole am Mittelmeer gefallen ist? Weil Barcelona wie Berlin jung, kreativ und spannend sei. Außerdem hätten beide Städte eine „bewegte, zerrissene Vergangenheit“: Berlin die Mauer – und Barcelona Franco. Nun ja. Wichtiger dürfte das B im Namen sein, das eine Umgestaltung des Logos überflüssig macht.
„Eurovision mit Berlin und Barcelona, das klingt nicht nur unheimlich sexy“, sagt Geyr, „sondern macht auch ganz viel Sinn. In Berlin bedienen wir Nord- und Osteuropa, Barcelona ist unser Tor für Südeuropa und Lateinamerika.“ Außerdem bietet Barcelona mehr Platz: 710 Labels sind vertreten, voraussichtlich 200 mehr als in zwei Wochen in Berlin. Statt 60.000 Quadratmetern wie in den Berliner Kabelwerken können auf der Fira Barcelona gleich 90.0000 Quadratmeter zur Inszenierung werden.
Und das werden sie: Die Mode- und Lifestylemesse ist ein Fest der Selbstdarstellung. Hoch über den Köpfen der emsig wuselnden Ein- und Verkäufer in Halle 8 schwebt ein DJ. Hinter ihm blinkt der rotgelbe Strahlenkranz der BBB. Ein zwei Meter hohes Tryptichon zeigt in heiliger Dreieinigkeit die Gründer der Bread & Butter, auf deren T-Shirts das Leitmotiv der Veranstaltung prangt: Fun & Profit.
Diese Spaß-Geld-Götter haben beschlossen: Die Bread & Butter soll weiter expandieren. Im Januar 2006 soll die Messe um ein Segment für Kindermode erweitert werden, Arbeitstitel: „Cool Kids on the Block“. Im nächsten Sommer dann kommen Präsentationen zeitgenössischer Designer dazu. Der Schwerpunkt der Bread & Butter allerdings wird nach Barcelona verlagern: Bis 2008 wurde der Vertrag mit der Messe verlängert. Das bedeutet: Jährlich gibt es vier Ausgaben der Show, eine Winter- und eine Sommermesse jeweils in Barcelona und Berlin, wobei den „internationalen Kickoff“ stets Spanien macht.
Das geplante Metropolenhopping stößt nicht auf einhellige Begeisterung. Frank Sutz Schilling von Nastrovje Potsdam, Mutterfirma der Labels Vive Marie und Pussy Deluxe, hat sowohl für Barcelona wie auch für Berlin gebucht. „Berlin ist unsere Hauptmesse. Sollten wegen Barcelona in zwei Wochen weniger Besucher nach Berlin kommen, dann ist das für uns schon blöd.“ Aber ansonsten: „Supermesse.“
Der selbst kreierte Metropolenmythos der Stadt kickt. Die Party auch. In Barcelona wird ausgiebig gefeiert. Am Sonntag Abend schipperte die Fashiongemeinde mit dem Loveboat zum Chillout nach Ibiza. „Pepe Jeans“ lud ein handverlesenes Publikum zum Cocktailschlürfen, das italienische Label „De puta madre“ feierte gleich direkt auf der Messe. Vor dessen Stand rangelten mittelalte Einzelhändler mit Wohlstandsbauch mit Lifestyleredakteurinnen um olivgrüne Käppis. Firmengründer Ilan, ein Mann mit langen schwarzen Haaren, grinste dazu. Angeblich ist Ilan ein bekehrter kolumbianischer Drogenhändler, der im Knast in Barcelona Slogans zur Verbesserung der Menschheit auf T-Shirts kritzelte und nach seiner Haftentlassung zum erfolgreichen Fashiondealer wurde. In Italien waren die mit „Pablo Escobar“- oder „Narcotrafico“-Schriftzügen verzierten Hemdchen im Sommer der letzte Schrei.
Kapitalismuskompatible Streetcredibility, perfekt inszeniert: Statt Katalogen liegen Plastiktüten mit Imitaten bewusstseinsändernder Substanzen auf den Tischen. Wenn Ilan keine Gadgets in die Menge wirft, rüttelt er fotogen an Gitterstäben. Dass der angebliche Kolumbianer kein Wort Spanisch spricht und seine Knasterfahrungen wahrscheinlich eher dem übermäßigen Konsum zweitklassiger Videos entstammen, ist völlig gleichgültig. Allein die Geschichte zählt. Und die klingt gut. Nach echtem urbanem Mythos. Genauso größenwahnsinnig und gaga wie, etwa, „Eurovision Berlin Barcelona.“