: Im Klapperschlangen-Style
Ein psychedelischer Ritt, eine tolle Wiederentdeckung: Wie die Band Manzanita y Su Conjunto den peruanischen Cumbia weiterentwickelt hat
Von Robert Mießner
Einmal angenommen, wir befänden uns nicht im Jahr 2021, sondern irgendwann in den späten Achtzigern, frühen Neunzigern, in der Zeit vor dem Internet. Wir hätten spätabends an der Radioskala gedreht und wären bei einem Song hängen geblieben, der uns irgendwie vertraut und dann doch recht schräg vorgekommen wäre: Ein verzahnter, lateinamerikanischer Rhythmus, Schicht auf Schicht Perkussion, das konnte unmöglich ein einzelner Schlagzeuger sein. Darüber scharfkantige Haken einer Gitarre, die urplötzlich mit irrlichternder Geschwindigkeit Reißaus zu nehmen schien und sich im Mittelteil kurz rar machte. Kein Gesang, dafür gelegentlich gerufene Einwürfe, als wären es Aufforderungen an das Ensemble. Der Abmoderation wäre gerade noch ein Name und ein Titel zu entnehmen gewesen, Manzanita y Su Conjunto mit „Manzaneando“. Mit dieser Information hätten wir dagesessen und uns noch später an die Musik erinnert: „Weißt du noch, Manzanita, der mit dem abgedrehten Geklöppel und der Klapperschlangengitarre?“
Mittlerweile wissen wir mehr. Manzanita hieß bürgerlich Berardo Hernández und wurde 1943 im peruanischen Laredo geboren. Die religiösen Festlichkeiten, afrikanischen Rhythmen und indigenen Tänze seiner Kindheit flossen in Manzanitas Musik ein, schreiben Diego Hernández und Samy Ben Redjeb im Beiheft von „Trujillo – Perú 1971–1974“, einer unlängst auf dem Label Analog Africa erschienenen Werkschau von Berardo Hernández’Band Manzanita y Su Conjunto. 14 Titel umfasst das Album, zwei von ihnen verweisen auf Hernández’Kindheitsprovinz Trujillo: „Shambar“ ist benannt nach einer lokalen Suppenspezialität, „El Norteño“ ist eine Laudatio auf die Nordküste Perus und ihre Bewohner. Beiden Songs ist zu eigen, was sich als eins der Markenzeichen des Sounds von Manzanita y Su Conjunto bezeichnen ließe: das Zusammentreffen der elektrifizierten verschlungenen Gitarrenläufe von Manzanita mit den fiebrig-melodiösen Orgelmotiven von Hernan Huamán, dazu die Perkussionisten Antonio Medina (Bongos), Héctor Mattos (Congas) und Ricardo Valles (Timbales) plus Enrique Ibérico am Bass, gelegentlich noch durch einen Bläsersatz verstärkt. Psychedelische Musik. Tropisch im Sound, hypnotisch in ihrer Wirkung.
Bekannt geworden ist dieser Stil als peruanische Cumbia, in der sich die aus Kolumbien stammende Cumbia, selbst ein Amalgam afrikanischer Rhythmusstrukturen und spanischer Melodien, mit der Musik des peruanischen Hochlands und Surf- und Psychedelic Rock mischte. Prominente Vertreter dieses Stils waren etwa Los Destellos, für die Manzanita y Su Conjunto zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz wurde.
Velasco an der Macht
Das Entstehen der peruanischen Cumbia und der Aufstieg Manzanitas hatten auch einen kulturpolitischen Hintergrund; 1968 war in Peru mit Juan Velasco ein linker General an die Macht gelangt, unter dessen Regierung nicht nur der Ölsektor und andere Schlüsselindustrien verstaatlicht und eine Land- und Bildungsreform begonnen wurden. Velascos Programm war im Grunde ein sozialdemokratisches, zur Praxis gehörte aber auch, dass in einer Art überschwänglichem Linkspatriotismus nordamerikanische Importe wie Cream oder Jimi Hendrix aus den Radioprogrammen verbannt wurden.
In dieser Lücke gedieh die peruanische Cumbia, entstanden Plattenlabels und gründeten sich 1969 Manzanita y Su Conjunto. Deren Songs nehmen fast schon einen späteren Sound vorweg: Die nervöse Gitarre Manzanitas hat in ihrer gezackten Rasanz regelrechte Postpunk-Qualitäten. Songs wie „Salomé“ mit der schön herausgearbeiteten Perkussion, „Catita“ mit dem Morse-Code-Intro auf der Orgel oder auch der Ruhepol „Lamentó de la Puna“ könnten im Tourbus der Talking Heads gelaufen sein. Zum Frühstück und nicht als Zufallsfund.
Manzanita y Su Conjunto, „Trujillo – Perú 1971–1974“ (Analog Africa/Groove Attack)
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