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Archiv-Artikel

Boot mit Flüchtlingen gesunken

SPANIEN Küstenwache rettet elf Menschen, weitere werden vermisst. Doch wegen Kontrollen und der Wirtschaftskrise kommen weniger Migranten an der Südgrenze Europas an

Der Rückgang ist auch durch die „Effektivität bei der Abschiebung“ zu erklären

AUS MADRID REINER WANDLER

Nach einem ruhigen Sommer kam jetzt der Schock. Am frühen Samstagmorgen ging beim Roten Kreuz in Südspanien der Notruf eines mit 40 Personen besetzten Flüchtlingsboots ein. Die Besatzung des Schlauchboots mit Außenborder gab an, in Seenot zu sein: „Die Stimme sagte, einen Leuchtturm zu sehen“, erklärt ein Sprecher des Roten Kreuzes. „Wir gingen davon aus, dass sie ganz nahe sind.“ Dies sollte sich als Irrtum herausstellen. Das Boot, das um fünf Uhr in der Früh an der marokkanischen Küste in See gestochen war, hatte die Hoheitsgewässer des nordafrikanischen Königreichs nie verlassen. Anstatt Kurs nach Norden über die Meerenge von Gibraltar zu nehmen, wurde es parallel zur Küste abgetrieben.

Nahe der Insel Perejil, unweit der spanischen Exklave Ceuta konnte die spanische und marokkanische Küstenwache elf Überlebende retten, acht Leichen wurden geborgen. Die restlichen Flüchtlinge werden noch vermisst. Sie lebend zu finden, gilt als unwahrscheinlich. Unter den Verschwundenen sollen sich nach Angaben der Geretteten hochschwangere Frauen und drei Babys befinden. Einmal mehr endete der Traum von rund 30 Flüchtlingen aus Schwarzafrika dort, wo Atlantik und Mittelmeer zusammenfließen. Zwölf lange Kilometer trennten sie noch von Spaniens Küste und dem vermeintlichen Eldorado Europa.

Die letzte Tragödie datiert vom vergangenen Mai. Damals starben 18 Personen, unter ihnen acht Babys, in der Meerenge von Gibraltar. Im Februar verschwanden 21 Flüchtlinge in den Gewässern vor der Kanareninsel Lanzarote. Die spanischen Behörden zählen für dieses Jahr 70 Menschen, die die Überfahrt nach Spanien mit dem Leben bezahlt haben. Wie hoch die Dunkelziffer ist, weiß niemand. Viele Boote – vor allem diejenigen, die von Westafrika auf die Kanaren übersetzen – werden nie erfasst.

Dabei war 2009 bisher ein ruhiges Jahr. Nach Angaben des spanischen Innenministeriums sind in den ersten sieben Monaten nur 4.457 Bootsflüchtlinge in Spanien angekommen – 1.798 auf den Kanaren, der Rest an der Meerenge von Gibraltar. Das sind 40 Prozent weniger als noch 2008 und über 74 Prozent weniger als im Rekordsommer 2006, als 40.000 hölzerne Fischerboote aus Westafrika auf den Kanaren anlegten. Im April, Mai und August registrierte die spanische Küstenwache kein einziges Boot auf den Kanaren. „Der Rückgang ist durch die Effektivität bei der Abschiebung und durch die Kontrollen auf hoher See zu erklären“, heißt es aus dem Innenministerium. Minister Alfredo Pérez Rubalcaba hat in den vergangenen Jahren mit einigen westafrikanischen Staaten wie Mali, Mauretanien und dem Senegal Rücknahmeabkommen ausgehandelt. Dies schrecke die Flüchtlinge ab. Außerdem verstärkte die EU-Grenzagentur Frontex ihr Aufgebot in den Gewässern des Senegals. Flugzeuge suchen den Atlantik zwischen Westafrika und den Kanarischen Inseln nach Flüchtlingsbooten ab und bringen sie zurück in den Senegal oder nach Mauretanien, wo sie in See stachen.

Eine weitere Rolle für den Rückgang dürfte die Wirtschaftskrise in Europa spielen. Spanien verzeichnet die höchste Arbeitslosenrate in der EU. Fast 19 Prozent sind ohne Job. Besonders betroffen ist die Bauindustrie, die so manchen „sin papeles“ beschäftigte. Außerdem drängen die arbeitslosen Spanier wieder in Wirtschaftssektoren, die sie zu Zeiten des Booms verlassen hatten. So wird die Ernte im Süden wieder von Einheimischen eingebracht. Ganze Gruppen von Immigranten ziehen über das Land, auf der verzweifelten Suche nach einem Job.