: Durch die Dunkelheit
COLLAGE Die in Berlin lebende isländische Musikerin Kira Kira hat keine Angst vor Albträumen. Am Sonntag stellt sie ihr Album „Feathermagnetik“ im Radialsystem vor
VON TIM CASPAR BOEHME
„Du hast den Wunsch, ganz von vorn zu beginnen und jedes unnötige Element aus deinem Leben herauszutrennen.“ Mit diesem rabiat anmutenden Satz beschreibt die isländischen Musikerin Kristín Björk Kristiánsdóttir ihre Gemütslage vor der Arbeit an ihrem dritten Album als Kira Kira. Das soll auch für diesen Artikel gelten: Reflexhafte Island-Stereotype, etwa die von Elfen und moosgrünen Vulkanlandschaften im Nebel, sollen ebenso wenig eine Rolle spielen wie die gern bemühten Vergleicheder 1977 geborenen Kira Kira mit ihrer Landsfrau Björk.
1999 gründete Kira Kira in Reykjavík mit einigen Kollegen, darunter der Komponist Jóhann Jóhannsson, das Künstlerkollektiv und Plattenlabel Kitchen Motors, dessen experimentell-improvisatorischer Ansatz ihre eigene Arbeit bis heute stark prägte. Kira Kira begann zunächst als ein reines Soloprojekt, wuchs aber über die Jahre hinweg: Auf ihrem aktuellen Album „Feathermagnetik“ spielen insgesamt elf befreundete Kollegen aus Skandinavien mit, so auch der Schlagzeuger Samuli Kosminen von der isländischen Band Múm, der die Platte gemeinsam mit ihr produzierte.
Die eingangs beschriebene Zäsur, ganz von vorn beginnen zu wollen, lässt sich bestens nachvollziehen, wenn man die neuen Stücke dem Vorgängeralbum „Our Map to the Monster Olympics“ von 2008 gegenüberstellt. Vor vier Jahren bediente Kira Kira noch ein umfangreiches Arsenal an Spielzeuginstrumenten. Sie sang mit kindlicher Geisterstimme zu ihren leicht verstörenden, träumerischen Klangschichtungen aus Glockenspielklingeln, Streichermelodien und elektronischem Knirschen. Dagegen wirkt die Kira Kira von 2012 erstaunlich aufgeräumt. Gesang gibt es fast keinen mehr. Die Klangspielzeuge sind komplett verschwunden. „Ich konnte sie einfach nicht mehr sehen“, sagt sie knapp dazu.
Stattdessen vernimmt man stark verdichtete Kammermusik-Collagen. Sie verlieren sich nicht groß im Spielerisch-Abgründigen, sondern strahlen eine spannungsreiche Gelassenheit aus, in der immer wieder leicht dräuendes Brodeln anschwillt, ohne sich in wohligem Grusel zu ergehen. In Kira Kiras Musik werden Angstzustände nicht zelebriert, sondern konfrontiert: „Früher machte es mir Spaß, mich durch Albtraum-Landschaften zu bewegen. Heute brauche ich das nicht mehr. Ich sehe keine Notwendigkeit, noch mehr Dunkelheit zu erzeugen, als sowieso schon da ist.“
Bei aller Düsternis
Bei aller Düsternis ist ihre Musik daher mit Hoffnung durchzogen, mit „kleinen Lichtpunkten“, wie sie sagt. Im Albumtitel ist dieser Optimismus ebenfalls angedeutet – die Federn, von denen die Rede ist, gehören zu einem Traumfänger, der böse Träume abhalten soll. Allerdings haben dessen Federn eine begrenzte Aufnahmekapazität, weshalb man sie in regelmäßigen Abständen auswechseln muss: „Man hört schließlich nicht auf, Albträume zu haben.“
„Feathermagnetik“ steht dennoch im Zeichen von Vertrauen und Zuversicht. Seit 2009 lebt Kira Kira in Berlin, hat sich hier ein „Zuhause“ geschaffen, zu dem sie immer wieder zurückkehren kann. Sie reist viel. Drei Jahre lang besuchte sie Musikerfreunde, machte mit ihnen Aufnahmen. So kamen nach und nach Streicher, Bläser und Schlagzeug zu ihren Computer-Soundscapes hinzu. „Es hat etwa sehr Intimes, wie bei einem vertrauten Gespräch. Ich bewegte mich wie eine Biene von Blume zu Blume, war in verschiedenen Garagen, Scheunen und Wohnzimmern in Finnland, Island und Berlin. Ich habe die Stücke nach und nach fertig gestellt, sodass sich bei der Arbeit verschiedene Schichten angesammelt haben.“
Bei jedem Besuch entstand eine neue Vorlage, die sie weiter ergänzte. Zu den Instrumenten mischte sie die Klänge von analogen Synthesizern oder eigene Naturaufnahmen. Trotz der vielen Einzelinstrumente klingt diese Musik nie überladen. Sie öffnet einen Raum, in dem die Ereignisse genug Platz haben, um Spannung zu erzeugen, ohne klaustrophobisch zu erscheinen.
Man braucht nicht viel
Kira Kiras Tabula-rasa-Methode hat anscheinend funktioniert: „Als ich mit der Arbeit am Album anfing, habe ich sehr gründlich überlegt, was ich mit hineinnehme und was ich außen vor lasse. Ich habe dabei ein neues Vertrauen in den Klang gefunden und in diese Stimme, die einem sagt, was gut klingt. Plötzlich habe ich gemerkt: Man braucht nicht viel, damit etwas Tolles passiert. Ein Klang, sofern es der richtige ist und die richtige Spannung hat, ist genug.“ Morgen stellt sie im Radialsystem V gemeinsam mit Samuli Kosminen, dem Trompeter Eiríkur Orri Ólafsson und dem überragend diskreten Bassisten Greg Cohen eine Auswahl ihrer Klänge vor.
■ Kira Kira: „Feathermagnetik“ (Sound of a handshake/Morr Music); live: Sonntag, 8. Juli, 20 Uhr, Radialsystem V