piwik no script img

Eine Hymne an die Waldschnepfen-Schlüpflinge

In seiner monumentalen Dokumentation „Heimat Natur“ zeigt Jan Haft eine Bestandsaufnahme unserer heimischen Lebensräume

Schöne Bilder von der Natur sieht man viele, Bilder von ihrer Zerstörung zeigt er nicht Foto: Nautilusfilm

Von Wilfried Hippen

Die Heringe schwimmen wieder in riesigen Schwärmen durch die Nordsee und an der norddeutschen Küste haben sich auch die Bestände der Kegelrobben so verbessert, dass sie von der roten Liste der bedrohten Tiergattungen gestrichen werden können. Es sind also nicht nur Hiobsbotschaften, die Jan Haft in seiner Dokumentation über die Veränderungen der Natur in Deutschland verkündet.

Es gibt Gewinner und Verlierer des Klimawandels und der Anreicherung der heimischen Böden durch Stickstoffverbindungen. Nicht obwohl, sondern weil die Gletscher in den Alpen abtauen, gibt es dort jetzt mehr Steinböcke. An der Küste ist der Fischotter zurück und in süddeutschen Nationalparks brüten wieder die Schwarzstörche. Zu den Verlierern zählen dagegen ausgerechnet die Pfifferlinge, von denen es einst so viele gab, dass sie eben nur „einen Pfifferling wert“ waren. Und auch die Wachtel ist inzwischen ein „Sorgenkind“ der heimischen Natur.

Die 100 Minuten lange Dokumentation „Heimat Natur“ ist ein monumentales Werk. Jan Haft versucht hier zu zeigen, wie sich die Natur in Deutschland zwischen den Alpen und den Meeresküsten in den vergangenen Jahren verändert hat. Bis zu vier Filmteams drehten dafür parallel anderthalb Jahre lang. An 300 Drehtagen nahmen sie 250 Stunden Drehmaterial auf und Jan Haft nutzte alle filmischen Stilmittel, die im Naturfilm gängig sind, also Zeitraffer, Zeitlupe, extreme Nahaufnahmen und natürlich viele der inzwischen allgegenwärtigen Drohnen-Aufnahmen.

Vor allem aber hatte er mit seinen vielen Filmteams die Möglichkeit, den Tieren und Pflanzen sehr nah zu kommen, und so wird hier die Natur, auch wenn sie geschädigt und gefährdet ist, mit grandiosen Aufnahmen gefeiert. Sei es die Smaragd-Eidechse, von der es nur noch wenige Hundert Tiere in Deutschland gibt, oder der Sonnentau: eine fleischfressende Pflanze, die Insekten fängt und bei lebendigem Leibe aussaugt. Haft sind immer Bilder gelungen, die Tiere, Pflanzen und Pilze sehr nah und in für sie typischen Situationen zeigen.

Dazu trägt Benno Fürmann einen gut formulierten Erzähltext vor, der auf sorgfältigen Recherchen beruht und die Natur nie romantisiert. So erzählt er anhand der sich grausam schließenden gezackten Blütenblätter des Sonnentaus vom fehlenden „humanen Miteinander der Mutter Natur“. Doch Haft zeigt dann auch, wie die Beutekammer der Pflanze von Moorameisen überfallen wird, die ihr zwei Drittel ihrer Beute wieder abjagen.

Haft ist ein routinierter Filmemacher, der über 70 Naturfilme für das Fernsehen produzierte, seine Kinofilme „Das grüne Wunder – Unser Wald“, „Magie der Moore“ und „Die Wiese – ein Paradies nebenan“ gehörten zu den erfolgreichsten Dokumentationen der letzten Jahre.

Mit „Heimat Natur“, der wie die meisten seiner Filme von seiner Ehefrau Melanie produziert wurde, hat Haft sein bisher aufwendigstes Projekt verwirklicht. Die Dreharbeiten im Jahr 2020 wurden dabei kaum durch Corona erschwert, weil es ja kaum zu Kontakt mit anderen Menschen kam. Zum Teil wurden sie sogar erleichtert durch die besondere Situation, weil die Landschaften ungewöhnlich menschenleer waren.

Dem Filmemacher sind seine Worte ähnlich lieb wie seine Bilder. Formulierungen wie „Rauschbeeren-Gebüsch“ haben ihren eigenen Witz

Menschen kommen so auch im Film wenig vor. Einmal läuft eine Wandergruppe durchs Bild, ansonsten werden nur Maschinen und Bauten wie Traktoren, Straßen und rauchende Schornsteine am Horizont gezeigt. Haft erspart dem Pu­blikum weitgehend Bilder von der zerstörten Natur. Die durch den Befall von Borkenkäfern abgestorbenen Wälder sind da eine Ausnahme.

In die grandios fotografierten Naturbilder versenken kann man sich aber auch nicht, weil Haft sehr viel Text in seinen Film hineingepackt hat. Ihm sind seine Worte ähnlich lieb wie seine Bilder, und einige seiner Formulierungen wie „Waldschnepfen-Schlüpflinge“ oder „Rauschbeeren-Gebüsch“ haben ihren eigenen Witz.

Etwas mehr Ruhe hätte „Heimat Natur“ gutgetan. Aber Haft will nicht nur mit Bildern überwältigen, sondern auch mit seinen Informationen aufklären. So konnte er es sich auch nicht verkneifen, in den letzten fünf Minuten in einer animierten Sequenz zu zeigen, wie sich die Moleküle des Stickstoffs zu Ammoniak und Stickstoffoxiden verbinden und wie schädlich diese für die Natur sind.

Dieser Stilbruch wirkt unbeholfen inszeniert, denn Haft versucht hier, mit einem kurzen Stück Erklärkino zum Mahner zu werden. Er hat wohl gemerkt, dass sein Film eine in sich widersprüchliche Botschaft vermittelt: Wenn die Natur so schön ist, kann es ja noch nicht so schlecht um sie bestellt sein.

„Heimat Natur“ läuft ab heute in den Kinos.

https://heimatnatur-derfilm.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen