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Archiv-Artikel

Schon wieder ein Voltaire

ANTISEMITISMUS Der Bestsellerautor Michel Onfray löst in Frankreich mit einer Rezension von Jean Solers Buch eine neue Debatte aus

Bekanntlich gibt es in Frankreich die Figur des „Medienintellektuellen“. Der Großmeister dieser Sparte ist der weltläufige Pariser Bernhard-Henri Levy, der im weißen Hemd und dunkler Sonnenbrille für einen konsensuellen Humanitarismus kämpft. Sein Konkurrent um die Position des „meistbeachteten“ Intellektuellen ist der provinziellere Michel Onfray: Mit seiner „Gegenphilosophie“ eines hedonistischen Atheismus erschreibt er sich hohe Auflagen. Der hat nun in der Zeitschrift Le Point unter dem Titel „Der Mann, der Gott den Krieg erklärte“ einen Text veröffentlicht, der für ihn wohl eher ein Freundschaftsdienst für einen Autor war, der aber eine heftige Polemik ausgelöst hat.

Es handelt sich um die Rezension von Jean Solers Buch „Qui est Dieu?“. Die in dem Buch vorgetragene These ist nicht sehr neu: Es ist der alte Vorwurf – man findet ihn schon bei den angelsächsischen „Neoatheisten“ Richard Dawkins und Christopher Hitchens –, dass der Monotheismus in der Geschichte der Menschheit einen bedauernswerten Sündenfall bedeutet. Ein eifersüchtig seine Einzigartigkeit reklamierender Gott ist ein gefährlicher Virus, er infiziert die Menschen mit Intoleranz. Das Problematische bei Onfrays begeisterter Rezension ist nun der Umstand, dass er sich zum Lautsprecher ausgerechnet jener Passagen des Buches macht, in denen sich die Grenze zwischen Religionskritik und Antisemitismus verwischt.

Aufgeklärtes Engagement für Universalismus und Antisemitismus waren lange vor Onfray schon einmal bei einem bekannten französischen Intellektuellen zusammengeflossen: bei Voltaire. Auch in den folgenden Jahrhunderten konnte der tief in die französische Mentalität eingedrungene Republikanismus einen Fond von Antisemitismus nicht auflösen. Man muss in Frankreich nur eine beliebige Person des öffentlichen Lebens angoogeln und man hat den Beleg, dass zahllose Franzosen wissen wollen, ob jemand Jude sei: Ungefragt schlägt die Suchmaschine als zusätzliche Suchoption das Wort „juif“ vor.

Solches obsessive Aufspürenwollen von verborgener jüdischer Präsenz kulminiert nun in Onfrays Artikel auf besonders unappetitliche Weise. Schwadronierlustig wendet er auf anachronistische Weise zeitgenössisches Vokabular auf die biblischen Texte des ersten vorchristlichen Jahrtausends an und kann so eine Geburt des Nationalsozialismus aus dem Geist des Judentums zurechtkonstruieren.

Juden waren es, so erfährt man, die „Genozid“ (anlässlich der mythischen Eroberung von Kanaan) und „Segregation“ erfunden hätten. Das Modell für Hitlers „Mein Kampf“ sei „hebräisch“: Die Nationalsozialisten hätten die Juden bekämpft, weil diese in ihrem Glauben an Auserwähltsein und in ihrem Willen nach nationaler Identitätsbewahrung eine gefährliche Konkurrenz repräsentierten. Es waren dann also die Juden selbst, die einst mit ihrer Bibel die Lunte, die dann 2.500 Jahre später in Auschwitz die Verbrennungsöfen zum Brennen brachten, gelegt haben. Und Hitlers Ahnherr war Moses. CHRISTOF FORDERER