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Archiv-Artikel

Rüstungs-exporte stoppen?Ja

SKRUPEL Deutschland ist drittgrößter Waffenexporteur der Welt, 80.000 Menschen arbeiten in der Rüstungsindustrie

opentaz frage

Der Wunsch: Peter Grottian, emeritierter Professor für Staatsforschung und neue soziale Bewegungen an der FU Berlin, schrieb folgende Anregung an die sonntaz: Ist nicht jetzt, nach dem Atomausstieg, der Waffenhandel das große Thema, das die taz-Leser diskutieren sollten? Wir fanden, er hat recht. ■ Der Weg: Senden Sie Ihre Anregung an open@taz.de oder mit der Post an taz.die tageszeitung, Sebastian Heiser, Rudi-Dutschke-Straße 23, 10969 Berlin. Die nächste sonntaz-Frage wird ab Dienstag wieder vorab online zur Diskussion gestellt. taz.de/streit

Christine Hoffmann, ist Generalsekretärin der deutschen Sektion von Pax Christi

Die deutsche Rüstungsexportpraxis ist undemokratisch, gegen den Willen der Bevölkerung und gießt Öl ins Feuer bestehender Konflikte. Das muss ein Ende haben. Deshalb kämpfe ich mit vielen Organisationen und Gruppen aus Friedensbewegung und Entwicklungsarbeit gegen den Export von Terror und Gewalt made in Germany! Rüstungsgüter sind keine neutralen Waren und dürfen nicht länger unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftsförderung behandelt werden. Friedensethisch gesehen sind Rüstungsexporte zu behandeln wie die Androhung von Gewalt. Dieser gesellschaftliche Konsens gehört ins Grundgesetz!

Sevim Dagdelen, 36, Sprecherin für Internationale Beziehungen der Linkspartei

In Kürze wird in New York über ein neues Kontrollregime über den internationalen Waffenhandel verhandelt. Ich bin allerdings skeptisch. Waffenlieferungen sind zu einem immer wichtigeren Instrument der Kriegsführung gerade der Nato-Staaten geworden. So hat etwa Frankreich Waffen über Libyen abgeworfen, um die Aufständischen aufzurüsten. Ähnliches geschieht nun durch die Türkei und Saudi-Arabien in Syrien. Außerdem ist der Rüstungsexport ein Nebenprodukt eigenener Aufrüstung. Stichwort: europäischer Rüstungsmarkt als Voraussetzung für eine europäische Armee. Der einzige Weg zur Eindämmung des Handels wäre konsequente Abrüstung zu Hause. Das geht aber kaum mit der Nato-Mitgliedschaft und der EU-Militarisierung.

Hüseyin Inan, 41, geboren in Nordkurdistan, ist freier Journalist und Aktivist

Schon in den Neunzigerjahren wurden Waffen aus Beständen der Nationalen Volksarmee von Deutschland an die Türkei geliefert, die damals bis zu 4.000 kurdische Dörfer zerstört hat. Bis zu zwei Millionen Menschen haben ihre Heimat verloren. Deutsche Panzer spielen in Nordkurdistan auch bei Einsätzen gegen die Zivilbevölkerung eine entscheidende Rolle, etwa wenn das Neujahrsfest von bewaffneten Militärs begleitet wird. Da die Türkei Nato-Mitglied ist, wird ihr Vorgehen kaum hinterfragt. Deutschland muss seinen Waffenhandel in alle Länder stoppen. Damit werden Menschenrechtsverletzungen unterstützt, nicht nur in der Türkei.

Jürgen Grässlin, 55, „Aktion Aufschrei“, Träger des Aachener Friedenspreises

Deutschland ist Europameister beim Handel mit Waffen und Rüstungsgütern. Ungebrochen werden willfährige Diktaturen mit deutschen Waffen und Lizenzen zum Nachbau stabilisiert. Jüngstes Beispiel: die Lizenzvergabe für das Sturmgewehr G36 und der geplante Export von Leopard-2-Kampfpanzern an das diktatorische Königshaus in Saudi-Arabien. Durch den Einsatz deutscher Waffen starben bereits über 1,5 Millionen Menschen, weitaus mehr sind traumatisiert. Über 100 Organisationen bilden deshalb die Kampagne: „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ Wir fordern eine Grundgesetzergänzung in Artikel 26 zum Stopp des Waffenhandels.

Nein

Georg Adamowitsch, 64, Verband Sicherheits- und Verteidigungsindustrie

Was der Diskussion guttäte, wäre die Feststellung, dass Deutschland keinen Rüstungshandel betreibt, sondern die Genehmigung von Rüstungsexporten einer strengen einzelfallbezogenen Genehmigungspraxis durch die Bundesregierung auf Grundlage rechtlicher Regelungen unterliegt. Die Bundesregierung wägt bei ihren Entscheidungen immer außen- und sicherheitspolitische Belange ab und prüft mögliche Menschenrechtsverletzungen in den Empfängerländern gründlich. Das ist gut so und soll aus meiner Sicht auch so bleiben. Ich halte es mit der Feststellung des Bundespräsidenten, dass militärische Gewalt sinnvoll sein könne, „um ihrerseits Gewalt zu überwinden oder zu unterbinden“. Das erfordert in manchen Situationen auch militärische Einsätze im Rahmen unserer europäischen und weltweiten Verantwortung gemeinsam mit unseren Verbündeten und Partnern. Und die Praxis zeigt, dass die Länder, für die Exporte durch die Bundesregierung genehmigt werden, doch überwiegend EU- oder Nato-Mitgliedsländer und keine Problemstaaten sind.

Edelgard Bulmahn, 61, sitzt für die SPD im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages

Die rot-grüne Bundesregierung hat im Jahr 2000 restriktive Grundsätze für den Waffen- und Rüstungsexport erarbeitet. Rüstungsexporte sind seitdem weiterhin uneingeschränkt in Nato-Mitgliedsländer möglich, in andere Länder aber nur nach einer Einzelfallprüfung. Ein generelles Verbot von Rüstungsexporten trägt dieser wichtigen Unterscheidung nicht Rechnung. Wenn aber Deutschland der drittgrößte Waffenexporteur weltweit ist, dann ist eine kritische und restriktivere Genehmigungspraxis notwendig. Rüstungsexporte zu begrenzen und zu kontrollieren, ist ein unmittelbarer Beitrag zu Friedenssicherung und Konfliktprävention. Entscheidungen über Rüstungsexporte hinter verschlossenen Türen im Bundessicherheitsrat zu fällen und das Parlament ein oder zwei Jahre später zu informieren, ist mit den Grundsätzen einer offenen Demokratie nicht vereinbar. Wir brauchen mehr Transparenz, eine stärkere parlamentarische Kontrolle und klare internationale Vereinbarungen. Rüstungsexporte so stärker zu beschränken, bedeutete in vielen Fällen, Sicherheit und Menschenleben zu schützen.

Uwe Roos, 46, psychologischer Berater und Journalist, kommentierte die Frage online

Rüstungsexporte zu stoppen oder gar zu verbieten, ist ethisch und moralisch ein humanes Gebot, aber letzten Endes nicht mehr als ein frommer Wunsch im Hinblick auf eine geläuterte Menschheit. Im Hier und Heute spricht die Realität eine andere Sprache. Solange große Teile der Menschheit ihre politischen, wirtschaftlichen, ethnisch-kulturellen und religiösen Konflikte nur mit Waffengewalt ausfechten und Gewalt und Terror als legitimes, weil einziges Mittel verstehen, wird es Rüstungsgüter, Produzenten und Abnehmer geben. Deutschland ist ein Global Player auf diesem rasant wachsenden Markt. Da sind Forderungen nach Beschränkungen und (öffentlichen) Kontrollen bloß Politikersprech und öffentliche Beruhigung. Zumal den ordinären Wähler dieses Thema, wenn überhaupt, nur marginal tangiert. Und dann auch nur, wenn es im Kontext von Wirtschaftswachstum, Wohlstand und zu sichernden Arbeitsplätzen platziert wird.