Mir redet Gott keiner aus

Stefan Holitschke ist neuer Ortsverbandsvorsitzender der CDU im idyllischen Hohegeiß im Harz. Das Imposante: Vor der Wahl Holitschkes setzte im Ortsverband ein erstaunlicher Mitgliederzuwachs ein und auch Ex-SPDler Holitschke ist frisch in der CDU. Eine Geschichte über Machtpolitik in der Provinz

von Annette Borchers

Vor der möglichen Bundestagswahl häufen sich Parteiein- und austritte allerorten. Im Landkreis Goslar beispielsweise beobachtet die CDU einen einprozentigen Zuwachs allein im vergangenen Monat: „Das ist ziemlich viel“, bestätigt Kreisgeschäftsführer Wolfgang Meuschke. Auch vorher schon habe es Zuwächse gegeben. Besonders auffallend war der deutliche Anstieg in einem kleinen Dorf inmitten der Harzer Berge: ein Anstieg, der allerdings nicht erst einsetzte, als bekannt wurde, dass neu gewählt wird in der Republik.

Der Schauplatz ist der Ort Hohegeiß mit seinen 1.000 EinwohnerInnen. Dort gewann die CDU innerhalb kürzester Zeit gleich 17 neue Mitglieder. Außerdem wurde ein neuer Ortsverbandsvorsitzender namens Stefan Holitschke gewählt. Pikant daran: Holitschke war vor seiner CDU-Karriere 28 Jahre SPD-Mitglied und saß für die SPD im Stadtrat. Im September 2004 wechselte er zur CDU – danach setzte der außergewöhnliche Mitgliederzuwachs bei den Christdemokraten ein. Bei der Mitgliederversammlung im Juni dieses Jahres stimmten 16 CDU-Mitglieder für Holitschke als neuen Ortsverbandsvorsitzenden, 12 waren für den bisherigen Vorsitzenden, ein Mitglied enthielt sich.

Im höchstgelegenen Dorf des Harzes, offiziell einem Ortsteil der CDU-regierten Stadt Braunlage, hat sich das gesellschaftliche Klima seitdem merklich abgekühlt. Nicht nur, dass es Holitschke von langjährigen SPD-Genossen verübelt wird, die Partei gewechselt zu haben – auch altgediente CDUler sind von dem Vorgang nicht gerade angetan. Er habe „nie das Gespräch gesucht oder einen schriftlichen Antrag auf Aufnahme in die Fraktion gestellt“, sagt Arne Rust, stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender im Ortsrat. Vom „Wahlverein Holitschke“ sprach der CDU-Politiker Wolfgang Härter am Tag der Mitgliederversammlung. Und der abgewählte Ortsverbandsvorsitzende Norbert Schalipp wetterte gegen die „Alibi-Mitglieder“.

Ferner ist man bei den altgedienten CDUlern nicht gerade begeistert vom neuen Ortsverbandsvorstand, der nach der Eintrittswelle größtenteils aus Neuchristdemokraten besteht: Im Vorstand sitzt nun beispielsweise ein Politiker, der 1995 wegen Brandstiftung verurteilt wurde. Oder die vorher überhaupt nicht politisch aktive Schwägerin Holitschkes.

Also haben Mitglieder der CDU-Ortsratsfraktion Einspruch gegen die Wahl eingelegt. In der CDU-Kreisgeschäftsstelle sieht Kreisgeschäftsführer Wolfgang Meuschke die Entwicklung gelassen: „Bisher haben wir erst einen Brief bekommen, die Begründung für den Einspruch ist noch nicht nachgeliefert worden. Das ist ungefähr so, als klagt man jemanden an, wirft ihm aber kein Delikt vor.“ Eine mögliche Begründung aber könne sein, dass nicht geheim abgestimmt worden ist.

Meuschke sagt, er habe gehört, die Wahl sei ordnungsgemäß gelaufen. Außerdem habe es zahlenmäßig überraschend hohe Neuzugänge und Parteienwechsel in der Politik schon immer gegeben, ein Beispiel sei der Fall Erich Mende zur Zeit der Willy-Brandt-Regierung. Im Notfall könne ja noch die Vertrauensfrage oder ein Antrag auf Abwahl gestellt werden. „Wir denken aber, die Sommerpause trägt dazu bei, dass sich alle besinnen“, sagt Meuschke.

Im Moment sieht das im rechten wie im linken Lager aber eher nicht so aus. Im idyllischen Hohegeiß mit seinen rund zehn Vereinen herrscht zwischen einigen Politikern Funkstille. „Ich sage ,Guten Tag und Guten Weg‘ und wüsste nicht, was ich sonst mit ihm zu bereden hätte“, sagt der ehemalige SPD-Ortsbürgermeister Richard Kilian über sein Verhältnis zu Stefan Holitschke. Kilian bedauert Holitschkes SPD-Stadtratsfraktionsaustritt, der im August 2003 erfolgt war. „Das war rein persönlich motiviert“, glaubt Kilian. Sein Mandat im Stadtrat Braunlage hat Holitschke übrigens nie abgelegt.

Aber warum hat Holitschke die SPD verlassen? Es ging um die so genannte Ski-Wiese in Braunlage und die Frage, ob diese von der Stadt gekauft werden sollte. Die SPD war dagegen: Sie wollte das Geld in die Straßenausbesserung stecken. Die CDU setzte sich für den Kauf ein, unter anderem, weil sie eventuellen Pachterhöhungen durch den Eigentümer entgehen wollte. Stefan Holitschke sprach sich als damaliges SPD-Mitglied auch für den Kauf aus. „Eine halbe Stunde vor der Stimmabgabe fing Herr Holitschke an, Theater zu machen“, erinnert sich der SPD-Ratsherr der Stadt Braunlage, Hans Metje. Holitschke selbst fühlte sich von der Fraktion gezwungen, gegen den Kauf zu votieren und trat daraufhin aus.

SPD-Ratsherr Hans Metje findet: „Wegen so einer Sache wechselt man nicht einfach die Partei. Man bekommt ja nicht von heute auf morgen eine andere Gesinnung.“ Holitschke selbst sagt, er sei schon vorher unzufrieden in der SPD gewesen: „Heute fühle ich mich wohler in einer Gemeinschaft, die wirklich umsetzt, was sie sich vornimmt. Für mich zählt auch der christliche Gedanke sehr viel. Mir redet Gott keiner aus.“

Früher wurde Holitschke in Hohegeiß „Baader“ genannt, eine Anspielung auf den RAF-Terroristen „Andreas Baader“. Man habe ihn so genannt, glaubt Holitschke, weil er früher leicht Dinge wie Bratwürstchen für Partys beschaffen konnte. Er hat bis heute nichts gegen den Namen unternommen. Von verbalen Angriffen auf seine Person fühlt er sich aber schnell verletzt. „Ich kann mich auch zur Wehr setzen“, sagt er – und nach einer Pause: „Natürlich in sachlicher Weise.“

Ein CDUler aus Hohegeiß, der aufgrund von Holitschkes Wahl in Zukunft nicht mehr für öffentliche Ämter kandidieren will, hält das „Thema Holitschke“ für abendfüllend: Man frage sich im Dorf, auf welche Art und Weise die für Hohegeiß hohe Anzahl der CDU-Neumitglieder zustande kam. Einige seien überredet worden – nicht nur mit Worten, glaubt ein Politiker, der nicht genannt werden will.

Noch weiter entfernt vom christlichen Grundsatz der Nächstenliebe bewegen sich die Aussagen von SPD- und CDU-Mitgliedern, die Holitschke als „Machtmenschen“ bezeichnen. Er habe möglichst schnell und ohne Widerstände aufsteigen wollen in der CDU, glauben Mitglieder der Ortsratsfraktion der Union. Ortsbürgermeister Richard Kilian hat beobachtet, dass Holitschke lange Zeit ein eher passives SPD-Mitglied gewesen sei und erst aktiver wurde, als er seinen Beruf als Hotelkaufmann aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben konnte. Und SPD-Ratsherr Hans Metje erinnert sich: „Er hat immer gesagt, er will Fraktionsvorsitzender werden.“ Doch daraus wurde nichts in der SPD.

Nun ist Holitschke Ortsverbandsvorsitzender in der CDU, gewählt von etlichen neuen CDU-Mitgliedern. „Alles legitim“, sagt der Kreisgeschäftsführer Wolfgang Meuschke, schließlich sei die CDU eine Volkspartei. Wenn jemand beispielsweise seine Strafe abgesessen habe, gelte er als resozialisiert. Meuschke fügt hinzu: „Sie brauchen sieben Leute, um einen Ortsverband zu gründen. Angenommen, es gibt 600 Einwohner im Ort, von denen 70 miteinander verwandt sind und davon wiederum 50 die Wahlberechtigung haben, können Sie über Jahrzehnte sicherstellen, dass immer ein oder mehrere Familienmitglieder im Ortsrat sind.“ Als strittig sieht Meuschke nur die Entscheidung Holitschkes, sein Mandat nach dem Parteiwechsel beibehalten zu haben, und bezeichnet dies als „nicht konsequent“.

In Hohegeiß will Stefan Holitschke, der nicht ohne Stolz gern erzählt, er stehe noch in Kontakt mit dem Waffenlobbyisten Karl-Heinz Schreiber (ebenfalls aus Hohegeiß), Ruhe einkehren lassen und sich für den Ausbau der touristischen Strukturen stark machen. Über seine politische Rolle in der Zukunft mache er sich noch keine Gedanken. Eines aber weiß er: „Wenn man mich braucht – auf ehrlicher Basis –, bin ich zur Stelle.“