talk of the town: Am liebsten Doppeldecker
In Berlin nutzen viele täglich den öffentlichen Nahverkehr. Für Menschen mit Behinderung hält dieser einige Tücken bereit. Durch die Pandemie hat sich jedoch einiges verbessert
Von Christian Specht
In meinem Alltag bin ich sehr auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen. Genauer gesagt auf die Busse. Sie bringen mich zu meinen Arbeitsterminen, sie fahren mich zur taz oder wenn ich mich mit Freunden und Freundinnen verabrede. Wenn es die Busse nicht gäbe, wüsste ich gar nicht mehr, wie ich mich in der Stadt fortbewegen sollte. Dann könnte ich nur noch in meinem Kiez bleiben. Und das wäre ziemlich traurig.
U-Bahn und S-Bahn kann ich leider nicht nutzen. Gar nicht, weil sie nicht behindertengerecht wären, sondern weil ich dort Panikattacken bekomme. Vor ein paar Jahren war ich mal zu Besuch in Hamburg und bin dann U-Bahn gefahren. Nach einer Station musste ich wieder aussteigen, weil ich solche Angst bekommen hatte. Ich kann das gar nicht genau erklären, woher meine Angst genau kommt.
Doch in den Bahnen ist es immer so eng und voll, um ein herum ist es dunkel. Und auch auf dem Gleis bekomme ich schon immer ein bisschen Angst, weil ich nicht in das Gleisbett fallen möchte. Das kann ja wirklich gefährlich sein, wenn man dann drin liegt und nicht rechtzeitig raus kommt.
Deswegen fahre ich in Berlin nur mit dem Bus, am liebsten mit dem Doppeldecker M29, obwohl ich immer unten sitze. Das Angenehme ist auch, dass der Bus so häufig kommt, dass ich vorher nicht gucken muss, wann einer kommt. Ich laufe einfach zur Station, warte und meistens kommt ziemlich schnell einer. Vor der Pandemie war es für mich manchmal anstrengend, Bus zu fahren. Denn es kam immer mal wieder vor, dass der Bus einfach nicht gehalten hat oder so schnell wieder losgefahren ist, dass ich gar keine Zeit hatte einzusteigen und dann auf den nächsten warten musste.
Seit letztem Jahr läuft das besser. Die Busse warten immer und öffnen jetzt ja auch immer hinten ihre Türen, wo ich mit meinem Rollator viel besser reinkomme. Häufig helfen mir auch Menschen aus dem Bus beim Einsteigen und machen dann auch den Platz für mich am Eingang frei, wo ich mich mit meinem Rollator gut hinsetzen kann.
Im Großen und Ganzen würde ich sagen, dass es in Berlin schon ganz gut klappt mit dem behindertengerechten öffentlichen Nahverkehr. Ich war zum Beispiel einmal in London, und da sind diese roten Doppeldeckerbusse so eng, da hat überhaupt kein Rollstuhl reingepasst. Das ist in Berlin schon möglich.
Protokoll: Carolina Schwarz
Christian Specht, Jahrgang 1969, ist politisch engagiert und setzt sich für mehr Mitwirkungsmöglichkeiten von Menschen mit Beeinträchtigung in den Medien ein. Seit 2017 ist er der erste Mensch mit Beeinträchtigung im Vorstand der Lebenshilfe. Wenn er möchte, zeichnet er uns den „Specht der Woche“.
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