berliner szenen: Schnorren aus reiner Neugier
Am Samstagabend feierte eine Freundin ihren Geburtstag nach. Endlich wieder ein bisschen feiern. Nach so vielen Monaten der Stubenhockerei. Wir trafen uns in einem Biergarten in Friedrichshain. Begleitet von zwei Spielen der EM. Erst Wales gegen Dänemark. Dann Italien gegen Österreich. Davor, dazwischen und danach gab es Bier.
Fußball und Bier, das schmeckt halt auch. Auf jeden Fall tranken fast alle Leute Bier im Biergarten. Außer an einem langen Tisch. Da wurde Roséwein aus Flaschen serviert, die aus Sektkübeln ragten. Als wäre dieses Bild nicht schon absurd genug für einen Biergarten während einer Fußball-EM, trugen die Männer, die an ihren Roséweingläsern ab und zu nippten, allesamt schneeweiße Hemden, perfekt gebügelt. Etwa zwölf Männer um die Dreißig. Eine Freundin meiner Freundin tippte mich an, als sie sah, dass mein Blick an diesem Tisch haftete, und fragte mich, ob das vielleicht ein Junggesellenabschied wäre. Ich schüttelte den Kopf. Nee, glaub ich nicht, antwortete ich. Die sehen mehr aus wie aus einer Verbindung. Oder BWLer? Die Freundin meiner Freundin und mich ließ es nicht mehr los und wir beschlossen, an dem roséweintrinkenden Tisch eine Kippe zu schnorren, obwohl ich nicht mehr rauche und sie nur ganz selten, wie sie versicherte. Jetzt und für diesen Zweck würde sie eine Ausnahme machen. Also liefen wir zu den schneeweißhemdigen Männern, um mehr über sie herauszufinden. Tatsächlich handelte es sich um einen Junggesellenabschied. Doch es waren keine Berliner oder Brandenburger, die sich zu diesem Anlass schick gemacht hatten, sondern Hamburger. Mit diesem Wissen wirkte ihr Auftreten fast schon authentisch. Wir bedankten uns für die Zigaretten und liefen zurück zu unserem Tisch. Da gab es mehr bunt. Und mehr Bier. Eva Müller-Foell
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