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Archiv-Artikel

Armstrongs Antwort

Der sechsmalige Gewinner der Tour de France hängt seine schärfsten Konkurrenten auf der ersten Alpenetappe ab. Jan Ullrich, Alexander Winokurow und Ivan Basso verlieren wichtige Sekunden

Die Choreografie der zehnten Etappe der Tour de France folgte bekannten Darbietungen. Auf den Kehren hinauf nach Courchevel startete Lance Armstrong seinen Angriff. Wieder einmal. Armstrong dominierte das übliche Ausscheidungsfahren auf den Serpentinen. Seinem Tempo konnten nur wenige Fahrer folgen. Sie fielen aus der Armstrong-Gruppe heraus, als führen sie auf weichem Asphalt. Auch Jan Ullrich ereilte dieses Schicksal. Er hatte wie Andreas Klöden im Ziel 2:15 Minuten Rückstand auf den Sieger der Etappe, Alejandro Valverde. „Zumindest war es kein Einbruch“, sagte Ullrich. „Aufgeben tu ich jedenfalls noch nicht.“ Der US-Amerikaner ist freilich drauf und dran, seine siebte Frankreich-Rundfahrt zu gewinnen: ein historischer Wert.

Am Morgen war Ullrich noch frohen Mutes. Die Etappe nach Courchevel war zudem kürzer als geplant, nur etwa 181 Kilometer lang. Nicht mehr dabei war der Russe Jewgeni Petrow vom Team Lampre, der wegen eines erhöhten Hämatokritwertes ausgeschlossen worden war. In Grenoble, dem Ausgangspunkt des zehnten Abschnittes, hatten französische Landwirte mit einer Straßenblockade und Demonstration gedroht. Die Tour-Leitung reagierte und verlegte den Start ins 11,5 Kilometer entfernte Brignoud. Die Bauern wollten gegen das Jagdverbot der unter Schutz stehenden Wölfe protestieren, die Lämmer und Kälber reißen.

Homo homini lupus, so hätte das Motto der ersten Hochgebirgsetappe der Tour de France lauten können, der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Beim Anstieg zum 2.004 m hoch gelegenen Ziel kannte vor allem einer kein Pardon: Armstrong. Wenn man im Bild bleiben will, könnte man sagen, Armstrong hat seine Eckzähne ins Fleisch der Rivalen getrieben. Zu den radelnden Opferlämmern gehörten sie alle, Christophe Moreau und Santiago Botero, Iban Mayo und Bobby Julich, Levi Leipheimer und Carlos Sastre.

Voigt verliert Gelb

Den ersten Anstieg des Tages auf den Cormet de Roselend, fast 2.000 Meter hoch, nahm eine siebenköpfige Spitzengruppe in Angriff. Bestplatzierter Ausreißer war der Franzose Laurent Brochard, der bei einem zeitweiligen Vorsprung von über acht Minuten auf das Hauptfeld ins virtuelle gelbe Trikot schlüpfte. Er zog das Hemd schnell wieder aus, denn die Favoriten begnügten sich nicht lang mit der Rolle der Abgehängten. Sie holten auf.

Hinter dem Septett nahm das Hauptfeld mit allen Favoriten die Verfolgung auf. Auf dem Gipfel des Cormet, den Brochard als Erster erstürmte, fuhren nur noch fünf Profis an der Spitze, mit einem Vorsprung von 3:40 Minuten. Der Mann in Gelb, Jens Voigt, hatte schon am ersten Anstieg Probleme. Mehrmals fiel er ab, kämpfte sich aber wieder heran. Am finalen Berg musste er die Kletterer ziehen lassen. Er verlor viele Minuten – und das Trikot des Führenden an den ewigen Dominator.

Auf der Abfahrt vom Cormet de Roselend nach Aime enteilte Brochard (37) kurz, der Straßenweltmeister des Jahres 1997. Jan Ullrich, nach seinem zweiten schweren Sturz mit einer Rippenprellung angetreten, die ihn beim Atmen behinderte, hielt sich zu diesem Zeitpunkt noch in der Nähe der „Menschmaschine Lance Armstrong“ (Spiegel) auf, in Begleitung seiner Teamkollegen Oscar Sevilla, Andreas Klöden und Giuseppe Guerini.

Das deutsche Team überließ Discovery Channel die Tempoarbeit. Die Helfer von Armstrong zerstreuten die Bedenken, die Equipe genüge nicht den Ansprüchen des sechsmaligen Toursiegers aus Texas. Der Abstand zu Brochard und Co. verkürzte sich dank der Tempoarbeit von Armstrongs Domestiken stetig. Auf den Serpentinen hinauf ins Ziel überrollten sie Ausreißer um Ausreißer, auch den tapfer strampelnden Jörg Jaksche, der noch vor Ullrich das Ziel erreichen sollte. Die Show der Spitzenfahrer konnte beginnen. Lange Zeit waren die Topfavoriten auf dem 21,8 Kilometer langen Anstieg beisammen, belauerten sich in Erwartung eines Angriffs. Alexander Winokurow, als einer der größten Herausforderer Armstrongs gehandelt, musste früh abreißen lassen, auch Ullrich und Klöden fielen zurück. Bei Armstrong verblieben Ivan Basso und Michael Rasmussen, die Spanier Valverde und Mancebo. Der große Rest war geschlagen.

Am Mittwoch können sich die Fahrer nicht von den Strapazen der Klettertour erholen. Die Königsetappe der diesjährigen Tour verlangt ihnen wiederum alles ab. Zu bezwingen sind der Col de la Madeleine (1.993 m), der Col du Télégraph (1.566) und schließlich der Col du Galibier (2.645), bevor der Tross ins Ziel nach Briançon schießt. TAZ