Politiker entgeht Anschlag im Libanon

Bei einem Attentat in Beirut wird der scheidende Vizepräsident Elias Murr leicht verletzt, zwei Begleiter kommen ums Leben. Damit gerät erstmals eine prosyrische Persönlichkeit ins Visier der unbekannten Angreifer. Das löst Spekulationen aus

VON KARIM EL-GAWHARY

Die Szene erinnerte an den Mordanschlag auf den ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri im Februar. Im Asphalt der Straße klafft ein zwei Meter tiefer Krater neben einem ausgebrannten Autowrack. Die daneben liegenden Wasserrohre sind geplatzt, die Dächer der benachbarten Dächer von der Wucht der Explosion abgedeckt. Doch diesmal überlebte das Opfer, der scheidende Vizepremier und Verteidigungsminister Elias Murr, die Autobombe, die gestern Vormittag gezündet wurde, als sein Konvoi eine Straße im Norden Beiruts durchquerte.

Aus dem Krankenhaus meldete sich der leicht verletzte Murr später per Tonkassette mit den Worten: „Gott sei Dank ist alles in Ordnung. Unser Land durchlebt eine schwierige Periode und wir müssen durchhalten.“ Zwei Begleiter kamen bei dem Anschlag um, mindestens 11 Menschen sollen verletzt worden sein. Fernsehbilder zeigten einen Mann, der blutüberströmt durch das Schiebedach eines Wagens nach draußen gezogen wird.

Das Attentat war nach dem Mord an Hariri, dem antisyrischen Journalisten Samir Qasir und dem linken Syrienkritiker George Hawi der vierte Mordanschlag in Beirut seit Februar. Die bisherigen Anschläge richteten sich gegen Personen, die der antisyrischen Opposition zugerechnet wurden.

Doch Elias Murr gilt als prosyrischer Politiker und ist der Schwiegersohn des libanesischen Präsidenten Émile Lahoud, der damaskusfreundlichen Gallionsfigur des Landes. Hat die libanesische Opposition bei der bisherigen Anschlagsserie mit dem Finger stets in Richtung Damaskus gedeutet, allerdings ohne bisher Beweise vorzulegen, ist die Situation jetzt komplexer geworden.

Die meisten Libanesen sind sich einig, dass die Drahtzieher der Anschläge ein Interesse haben, das Land zu destabilisieren. Das gestrige Attentat erfolgte zu einem Zeitpunkt, an dem das Land keine handlungsfähige Regierung besitzt. Der designierte Premier Fuad Saniora kämpft seit Tagen mit der Kabinettsbildung. Nach inoffiziellen Angaben soll auch Murr ein hohes Ministeramt erhalten – trotz des Widerstandes der antisyrischen Abgeordneten, die im neuen Parlament die Mehrheit stellen. Wenn es sich aber bei den Anschlägen nicht um die gleichen Hintermänner handelt, dann könnte sich das gestrige Attentat als ein Vorbote für einen Bürgerkrieg erweisen, da bereits jetzt pro- und antisyrische Gruppen ihre Rechnungen mit Autobomben begleichen.

Eine andere Theorie geht allerdings davon aus, dass es sich bei den Attentätern diesmal um militante Islamisten handeln könnte. Murr hatte letztes Jahr als Innenminister eine angeblich von al-Qaida vorbereitete Anschlagserie auf ausländische Botschaften in Beirut aufgedeckt. Zehn Verdächtige wurden damals festgenommen. Einer von ihnen verstarb in Haft, angeblich infolge eines Herzschlages. Der Personenschutz Murrs war daraufhin verstärkt worden.