: „Ich fand Clowns immer scheiße“
COMEDY Max Giermann wollte nie ins Fernsehen. Doch einer Theaterkarriere kamen – ausgerechnet! – zwei Clowns dazwischen: der in ihm und Georgo Peugot. An seinen Mentor denkt der „Switch Reloaded“-Parodist vor jeder Sendung: „Granaten wie wir“, 22.15 Uhr, ProSieben
VON SVEN SAKOWITZ
Vor einer halben Stunde war er noch Stefan Raab. Jetzt, um 22.30 Uhr im Backstageraum, ist Max Giermann wieder ganz er selbst. So wie er sich mit Bier in der Hand aufs Sofa gepflanzt hat, wirkt der 33-Jährige wie jemand, der bei einem Kumpel Fußball guckt und am Wochenende nichts weiter vorhat.
Gerade hat Giermann vor 400 Zuschauern im Studio 3 des MMC-Medienzentrums in Hürth eine Folge seiner ersten eigenen Fernsehshow aufgezeichnet – „Granaten wie wir“ läuft seit letztem Dienstag wöchentlich bei ProSieben. In jeder der zwölf Ausgaben führt Giermann 45 Minuten lang in der Rolle eines Prominenten durch den Abend. Bands und Comedians treten auf, dazu gibt es Clips mit Sketchen. Die Raab-Parodie hat er hinter sich, Auftritte als Tim Mälzer, Uli Hoeneß, Karl Lagerfeld und anderen folgen. Die Figuren kennt das Fernsehpublikum aus der ProSieben-Reihe „Switch Reloaded“, in der Giermann Teil eines neunköpfigen Ensembles ist. Seine Auftritte gehören zu den Höhepunkten: Reinhold Beckmann? Bei Giermann ein unerträglich selbstverliebter Dünnbrettbohrer. Olli Geissen? Ein Berufsjugendlicher auf Autopilot.
„Bei der Entwicklung der Parodien gehe ich handwerklich vor“, sagt Giermann. „Am Anfang steht die Arbeit an der Stimme: Ich nehme markante Passagen des Originals mit meinem Diktiergerät auf und übe sie immer und immer wieder. Da seziere ich regelrecht: Wo sind die Atempausen? Ist da ein Lispeln drin, ein Dialekteinschlag? Ich laufe durch meine Wohnung, mache Stimmen nach und werde bekloppt dabei. Danach kümmere ich mich um Mimik und Gestik.“ Was ist mit Empathie? Muss man nicht das Wesen einer Person so gut es geht erfassen, um sie parodieren zu können? „Ich versuche nicht, die Charakterstrukturen meiner Vorbilder zu analysieren“, sagt Giermann. „In erster Linie interessiere ich mich für deren Auftreten, der Rest kommt intuitiv dazu. Und eine gute Maske trägt am Ende natürlich maßgeblich zum Gelingen bei.“
Im stillen Kämmerlein
Etwa vier Wochen arbeitet Giermann an einer Parodie. Das Ergebnis präsentiert er am liebsten frühestens bei den ersten Proben: „Ich arbeite im stillen Kämmerlein und mag es nicht, unfertige Dinge zu zeigen“, sagt er. „Wenn man Klavier spielt, möchte man ja auch nicht die Übungen vorspielen, sondern das fertige Stück. Vielleicht habe ich auch Angst davor, dass jemand sagt: ‚Nee, das funktioniert nicht.‘ So eine Kritik würde mich vermutlich sehr irritieren.“
Giermann versucht während des Gesprächs nicht, seiner Rolle als Komiker gerecht zu werden, ist aber auch nicht bemüht ernsthaft. Was er sagt, klingt durchdacht, seine Antworten fallen sehr ausführlich aus – und manchmal irritierend sachlich und gelassen. Denn: großes Studio, Showtreppe, ein Publikum nur für sich – das ist neu für ihn, da nähme es ihm niemand krumm, wenn er Begeisterung an den Tag legte. Was ist los mit dem Kerl? Andererseits: Vielleicht ganz gut so, überdrehte Egozentriker gibt es in der Fernsehbranche genug.
Der Ton ändert sich, wenn Giermann von der Zeit mit seinem Mentor spricht. Dann gerät er ins Schwärmen. Der Mann hieß Georgo Peugot, kam aus den USA, lebte in Freiburg und arbeitete als Clown. Mitte der 90er besucht Giermann einen Workshop bei ihm, die Vorfreude auf die Schulexkursion hält sich in Grenzen. „Ich fand Clowns immer scheiße“, sagt er. „Aber offensichtlich hatte ich immer nur die Falschen gesehen, denn bei Georgo hat es mir gleich gefallen. Da ging es sehr anarchisch zu, das war so in der Tradition von Jango Edwards.“
Der junge Max ist Feuer und Flamme und schließt sich den „Comedy Kids“ an, einer Nachwuchs-Clown-Gruppe, die mit Georgo Peugot auf Reisen geht. In ganz Europa treten sie bei Festivals vor mehreren tausend und in Fußgängerzonen vor ein paar Dutzend Menschen auf. „Das hat mir jedes Mal einen Kick gegeben“, sagt Giermann. „Wir hatten kein richtiges Programm, sondern sind einfach rausgegangen auf die Bühne oder die Straße, haben improvisiert und dabei ein sehr körperliches Spiel dargeboten. Das war total aufregend.“
Aber nicht Giermanns Berufswunsch. Nach dem Abitur 1995 strebt er zunächst eine Laufbahn als Cartoonist an. Einen Studienplatz für Medienkunst hat er sicher, als er nach dem Zivildienst spontan doch noch zur Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule Ernst-Busch in Berlin geht – und genommen wird. Er ist nicht erfolglos, spielt parallel am Maxim Gorki Theater und bekommt nach der Ausbildung gute Kritiken. „Damals habe ich mir geschworen, dass ich niemals zum Fernsehen gehe. Ich wollte anspruchsvolles Theater machen, Klassiker auf die Bühne bringen.“
Aber der Clown in ihm drängelt sich immer wieder nach vorn: „Ich habe irgendwann gemerkt, dass der wichtigere Teil für meine Persönlichkeit das Komische ist, und dass dieser Teil von mir nach mehr Raum verlangt.“ Er gibt Clownworkshops an der Schauspielschule, inszeniert für Theaterstücke Clownerieszenen und hält Kontakt zu den „Comedy Kids“. Aber das reicht nicht: Giermann entscheidet um das Jahr 2002 herum, dass er fortan als Comedian sein Geld verdienen will.
Auf der Mattscheibe
Seine TV-Premiere hat er 2004 in der RTL-Show „goXX“, es folgt die Improcomedy „Frei Schnauze“ (ebenfalls RTL), bevor Giermann 2006 für „Switch Reloaded“ verpflichtet wird. Zurück zum Theater geht es wohl auf absehbare Zeit nicht. Deshalb ist Giermann auch mit seiner Freundin nach Köln gezogen: „Ich bin so naiv zu glauben, dass es mit der Comedy gut weitergeht und ich in Köln bleiben kann.“ Einer kann ihm nicht mehr helfen: Georgo Peugot starb 2002 bei einem Autounfall. „Vor den Aufzeichnungen denke ich immer an ihn“, sagt Giermann und nimmt einen letzten Schluck Bier. „Ich glaube, ihm würde das hier gefallen, dieses irgendwie Bekloppte auf handwerklich hohem Niveau. Doch, das wird ihm gerecht.“