: Grausamkeit des guten Vaters
SAISONSTART Premiere an der Komischen Oper in Berlin: Der künftige Intendant Barrie Kosky hat Verdis „Rigoletto“ inszeniert und damit neue Maßstäbe gesetzt
VON NIKLAUS HABLÜTZEL
Monteverdi, Ligeti, Mozart, Gluck, Cole Porter, Verdi – so unterschiedlich Stile und Stoffe dieser Musiker des Opernrepertoires sind, Barrie Kosky hat an der Staatsoper und an der Komischen Oper in Berlin für ihre größten Meisterwerke eine jeweils ganz eigene, unverwechselbare und einprägsame Bühnensprache gefunden. 2012 wird Kosky den gegenwärtigen Intendanten der Komischen Oper Andreas Homoki ablösen, der zum Opernhaus Zürich wechselt. Und wenn es so weitergeht mit diesem blitzgescheiten und dabei ganz und gar uneitlen Theatermann aus Australien, muss sich die Opernstadt Berlin keine Sorgen machen, sie wird Maßstäbe setzen.
Warum das so ist, lässt sich wie im Labor untersuchen an Koskys Inszenierung von Verdis „Rigoletto“, die am Sonntag an der Komischen Oper Premiere hatte. Nach der kurzen, hochdramatischen Ouvertüre zerstört das durchdringend grauenvolle Schreien einer gequälten Kreatur jede Hoffnung auf einen Abend der schönen Stimmen. Gesungen wird trotzdem schön, wenigstens fast immer, aber die ewige Diskussion um die Frage, wie viel Regietheater die Oper verträgt, wischt Kosky mit dem ersten Bild ein für alle Mal vom Tisch. Oper, zumal die von Verdi, ist gesungenes Theater, nichts sonst. Die Aufgabe der Regie, wie sie Kosky versteht, ist daher allein, die Sprache der Musik zu verstehen, und sie mit den Mitteln der Bühne hör- und sichtbar zu machen.
Adliger Sexprotz
Verdi hatte sich von dem seinerzeit skandalösen Versdrama „Le Roi s’amuse“ von Victor Hugo inspirieren lassen, in dem (mal wieder) ein Buckliger die kolportagehaft tragische Hauptrolle spielt: Ein Hofnarr sperrt seine Tochter in seinem Haus ein, damit sie von sexuellen Nachstellungen der Männer verschont bleibt, über die er im Dienste seines Herrn seine Witze machen muss.
Nur ganz oberflächlich hielt sich Verdi (und sein Librettist Piave) an diese Vorlage. Das musikalische Zentrum seiner Partitur ist eine Folge großer Duette von Vater und Tochter, die eine ganz andere Geschichte erzählen. Es fällt schwer, sie „tragisch“ zu nennen, denn sie handelt von der eiskalten Grausamkeit eines vor Selbstmitleid triefenden Mannes, der einem jungen Mädchen aus purer Selbstsucht verbietet zu leben.
Die Russin Julia Novikova legt mit bewundernswerter Reife die Qual dieser Vergewaltigung Schicht für Schicht frei, zitternd vor Verlangen und hilflos ausgeliefert ihren eigenen Gefühlen, weil sie nicht einmal den Namen ihres Vaters kennen darf. Folgerichtig lässt sie sich am Ende von dem Mörder töten, der eigentlich von ihrem Vater dafür bezahlt wird, den adligen Sexualprotz zu ermorden, in dessen Dienst er selbst steht. Im Falle seiner Tochter hatte er ein besonders leichtes Spiel, denn er war der einzige Mann, den sie je zu Gesicht bekam: Tragisch ist auch das nicht, sondern die logische Konsequenz einer Pathologie, die den für die Tragik nötigen freien Willen ausschließt.
Man darf dabei durchaus an den Fall Fritzl aus Amstetten denken, aber Barrie Kosky hat solche Anspielungen nicht nötig. Der Fall Rigoletto braucht keine Aktualisierung. Mit sicherem Sinn für theatralische Wirkungen halten sich Kosky und seine Kostümbildnerin Alice Babidge an Victor Hugos Welt des Grand-Guignol, des Grusel- und Kaspertheaters, das in Frankreich Mitte des 19. Jahrhunderts populär war. Alle möglichen Figuren aus der Comedia dell’Arte, dem chinesischen Zirkus und den Comicfilmen unsrer Zeit umtanzen diesen Vater, der im ersten Bild noch gar nicht zu erkennen ist, weil sein Kopf in einer riesigen, böse grinsenden Maske steckt und sein Körper unter einem silbern glitzernden, die halbe Bühne füllenden Reifenrock verschwindet. Wie in der Zaubernummer eines Varietés krabbeln die Spielfiguren darunter hervor, um ihr gefühlloses Zappelleben in dem Guckkasten abzuschnurren, den Kosky als ständig gegenwärtiges Theater im Theater in die Bühne gestellt hat.
Mitleidslose Monster
Nichts ist Selbstzweck, alles dient Verdis Musik. Wo sie volkstümlich klingt bis hin zu dem Schlager „La donna e mobile“, ist sie in Wirklichkeit zynisch. Denn es ist eine Welt mitleidsloser Monster, in der das Mädchen Gilda zu Grunde gehen muss, das als einziger Mensch von seiner Seele singen kann. Die Rolle des Vaters ist mit der schönen, nuancenreicher Stimme Bruno Capronis besetzt, die ihn nahe heranführt an menschliches Mitfühlen, aber stets lässt ihn Verdi am letzten Schritt scheitern. Was er besingt, ist er selbst, nie seine Tochter, die sich in den Duetten um seine Stimme herumschlingen muss.
Ähnliche Kunst ließe sich gewiss auch für den Herzog beobachten, der mit seinem Schlager über die untreuen Frauen das letzte und damit böseste Wort behält. Nur wird diese Rolle von einem Mann gesungen, der ein Grauen ganz anderer Art verbreitet. Héctor Sandoval erfüllt so ziemlich jedes Vorurteil, das man gegen Tenöre haben kann. Er trifft fast nie den richtigen Ton und die Silben knödeln alle gleich. Ein Vergewaltiger wie sein Gegenspieler Rigoletto, nur weniger salbungsvoll. Könnte er singen, möchte man ihn dafür lieben, wie Gilda das tut.