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Archiv-Artikel

100.000 Namen in nur 24 Stunden

PROTEST Erst eine Woche nach dem Bundestagsbeschluss löst ein Internettext die Protestwelle aus. Ein Online-Appell findet minütlich neue Unterzeichner. Datenschützer kritisiert lahme Opposition

KÖLN taz | Die Resonanz ist überwältigend. Bereits Dienstagmittag hatten über 100.000 Menschen den Onlineappell gegen das neue Meldegesetz unterzeichnet. Dabei haben das Kampagnennetzwerks Campact, die Bürgerrechtsorganisation FoeBuD und die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) erst am Montag ihre Initiative gestartet. „Auch für uns ist es selten, dass eine Kampagne einen solchen Zuspruch hat“, sagt Susanne Jacoby von Campact. „Aber der Datenschutz ist für viele Leute eben ein sehr wichtiges Thema.“

In gerade mal 57 Sekunden hatte der Bundestag am 28. Juni das Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens durchgewinkt (siehe Kasten). Ohne Aussprache stimmten 17 Abgeordnete von Union und FDP dafür, 10 von SPD, Grünen und Linkspartei dagegen. Mehr Parlamentarier waren dank des EM-Halbfinalspiels Deutschland gegen Italien nicht im Plenarsaal.

Die öffentliche Empörung setzte erst mit fast einwöchiger Verzögerung ein. Einer der Auslöser war ein Artikel, den am Mittwoch CHIP Online, das Internetportal des gleichnamigen Computermagazins, veröffentlichte. Unter der Überschrift „Adressauskunft: Widerspruchsrecht abgeschafft“ schrieb Christoph Elzer, dass die Gesetzesänderung, einen „faustdicken Datenskandal“ mit sich bringe. In Windeseile verbreitete sich sein Text in den sozialen Netzwerken. Alleine auf Twitter wurde er mehr als 1.000-mal geteilt, auf Facebook rund 11.000-mal empfohlen.

Zahlreiche Blogger empörten sich nun über die „gesetzgeberische Infamie“, wie es Rechtsanwalt und Piratenparteimitglied Udo Vetter in seinem viel beachteten law blog formuliert. Am Wochenende erreichte die Welle schließlich die Onlineausgaben der klassischen Medien von taz bis FAZ.

„Das hat eine Eigendynamik entwickelt, die ich mir nicht hätte vorstellen können“, sagt Chip-Autor Elzer der taz. Warum ausgerechnet sein Artikel einen solchen Wirbel ausgelöst hat, dafür hat er keine rechte Erklärung. Schließlich war er keineswegs der Erste, der über die Bundestagsfarce berichtete.

Schon am 29. Juni meldete heise online: „Schwarz-Gelb beschneidet Opt-in zur Datenweitergabe in Meldegesetz.“ Doch weder dieser noch ein am 2. Juli mit gleichem Tenor auf Zeit Online erschienener Bericht fand zunächst größere Resonanz. Elzer selbst stieß über einen am 3. Juli auf dem Blog netzpolitik.org veröffentlichten Text des Bloggers Andre Meister auf das Thema. „Das war wirklich reiner Zufall, dass ich darüber gestolpert bin“, sagt er. Auch Campact wurde erst über netzpolitik.org auf die Geschichte aufmerksam.

„Es ist wirklich interessant, wie aus einem kleinen Schneeball eine ganze Lawine werden kann“, freut sich Thilo Weichert. Der schleswig-holsteinische Landesdatenschutzbeauftragte räumt aber ein, es sei sicherlich förderlich gewesen, dass gerade in den Medien sommerliche „Sauregurkenzeit“ herrsche. Weichert hatte vor der Bundestagsabstimmung die Opposition eindringlich vor der Aufweichung der Datenschutzregelung gewarnt, die Union und FDP im Innenausschuss kurzfristig in den Gesetzentwurf bugsiert hatten. Aber SPD, Grüne und Linkspartei seien sich „leider der gesellschaftspolitischen Brisanz nicht bewusst gewesen“ und hätten „einfach business as usual gemacht“.

Jetzt, nach der großen öffentlichen Aufregung der vergangenen Tage, sieht Weichert doch noch gute Chancen, „dass der Bundesrat diesen gefährlichen Unsinn stoppt“. PASCAL BEUCKER