: Leben und Schreiben eines ewigen Selbstzweiflers
Über Ernst Nossack, einst eine Größe im Literaturbetrieb, hat Daniel Dubbe eine Biografie geschrieben, die nicht umsonst den Titel „Außerhalb“ trägt
Daniel Dubbe: „Außerhalb. Das Leben und Schreiben des Hans Erich Nossack“. Günther Emigs Literatur-Betrieb. Niederstetten 2020, 392 Seiten, 20 Euro
Von Martin Willems
Die Kunst eines Biografen besteht darin, die entscheidenden Fragen zu stellen. Daniel Dubbe gelingt es gleich mit der zweiten, den Leser subtil wie wirkungsvoll in sein Thema hineinzuziehen: „Kennen Sie Nossack?“ Die allermeisten, so ist zu befürchten, werden passen müssen. Selbst in Michael Maars gefeiertem Essayband „Die Schlange im Wolfspelz“, der herausragenden Stilisten nachspürt, findet der im besten Sinne kühle Berichterstatter Hans Erich Nossack keine Erwähnung, und das, wo seine präzise, traumwandlerisch dahinfließende Prosa noch dem strengsten Lektor einen pünktlichen Feierabend garantiert.
N., wie ihn Dubbe schlicht nennt, war im bundesrepublikanischen Literaturbetrieb nicht irgendwer, seitenlang besprach Marcel Reich-Ranicki die Romane des 1977 verstorbenen Büchnerpreisträgers. Doch der Schein eines anerkannten und somit gelassenen Autors trügt gewaltig. Dubbes jahrzehntweise vorgehende Darstellung zeigt Nossack als zwischen Selbst- und Außenwahrnehmung zerriebenen Einzelgänger, als ewigen Zweifler, der (ausgerechnet) im Schreiben Errettung sucht.
1901 in wohlhabenden Hamburger Verhältnissen geboren, durchlebt er eine „unwirkliche“ Kindheit, früh habe ihn seine herrschsüchtige Mutter „dazu verdammt, Bücher zu schreiben, statt zu leben“. Überhaupt beginnt Nossacks eigentlicher Werdegang erst, als er sich mit Anfang zwanzig von Freikorps – „tagsüber sang ich vorschriftsmäßig reaktionäre Marschlieder, abends las ich expressionistische und links-radikale Manifeste“ – und elterlicher Alimentierung lossagt. Die Koordinaten der nun folgenden Dachkammerjahre lauten: Studienabbruch, Hilfsarbeiter, Affären, Todessehnsüchte, Heirat, Dramengestalten.
Da die Stücke vorerst niemand aufführen mag, tritt er 1933 in die Kaffeeimportfirma des Vaters ein, auch, um einer Überwachung durch die Gestapo zu entgehen. Unentwegt brütet er über Gedichten, die ihn schließlich in das Büro von Peter Suhrkamp bringen, hier fühlt Nossack sich wie ein „Hobbydichter“, was die Reichsschrifttumskammer dann sogar offiziell bestätigt – eine Mitgliedschaft sei nicht erforderlich.
Die Bombardierung und weitgehende Zerstörung Hamburgs ist die wohl tiefste Zäsur seines Lebens: Hausstand sowie Tagebuchaufzeichnungen und Manuskripte („tausende von Seiten“) verbrennen. Inmitten erdrückender Leere entsteht „Der Untergang“, ein bedeutendes Zeugnis für die literarische Bewältigung des Luftkriegs.
Sobald die Lebensumstände es halbwegs ermöglichen, entwirft Nossack ein Prinzip, von dem er nicht mehr abrücken wird: „Ein Schriftsteller, der es schaffen will, muss ständig hart an der Erweiterung seines Gesichtskreises und seiner Kenntnisse arbeiten. Wer das nicht tut, verkümmert entweder zum journalistischen Schwätzer oder er scheitert ganz.“ Spätestens mit seinem arg verzögerten Wechsel zu Suhrkamp 1955 werden die an ihn herangetragenen Verpflichtungen zahlreicher, Siegfried Unseld fordert nun einmal „Präsenz“. Nossack gehorcht und addiert unter Schmerzen, wie viele Stunden an der Schreibmaschine wegen all der Reisen, Fernsehaufnahmen und Empfänge verloren gehen. (Geradezu tragikomisch: die Anekdote, wie er Abwesenheit vortäuscht, um sich einer Akademiesitzung zu entziehen, und drei Tage hinter heruntergelassenen Jalousien in „selbst verordneter Gefangenschaft“ ausharrt.)
Bei jungen Autoren, etwa Rolf Dieter Brinkmann und Herbert Achternbusch bitten um Rat, interessiert Nossack, dem eine Veröffentlichung zuweilen wie ein Verrat vorkommt, allein, ob derjenige ernsthaft weiterzuschreiben gedenkt oder es sich lediglich um „eine vorübergehende Gestimmtheit“ handelt. Folgerichtig verabscheut er jene „auswechselbaren und unverbindlichen Machwerke, mit denen der Markt überschwemmt ist“.
Hierin ähnelt Nossack seinem Wiederentdecker Daniel Dubbe, der nach Romanen und wesentlichen Beiträgen zur Entwicklung der RAF seit 2009 verstärkt autofiktional arbeitet. Bloß „erlebe man mit zunehmendem Alter nicht mehr allzu viel“, außerdem hätten ihn „Genresprünge“ schon immer fasziniert.
Faszination ist ein gutes Stichwort: Während dreijähriger Recherche hat Dubbe alles Greifbare von und zu Nossack gelesen, ferner den Nachlass im Deutschen Literaturarchiv Marbach gesichtet und sich so in die Lage versetzt, den Künstler und Denker zu erfassen, ohne den nötigen Abstand einzubüßen. Wie nebenbei liefert er lakonische Parabeln auf das Schriftstellerdasein: „…in Zimmer, in dem er den ganzen Tag für sich sein kann, nachmittags wird er ein bisschen traurig sein und nachts wird er schreiben“.
„Außerhalb“ ist nicht nur eine fundierte Biografie, sondern ebenso eine eindrückliche Geschichte über die häufig qualvolle Notwendigkeit des Schreibens sowie das (Nicht-)Zurechtkommen einer introvertierten Persönlichkeit im Geschäft Literatur.
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