piwik no script img

Reißzwecke, gefährlich nah

Versuchsaufbauten mit überraschendem Resultat: Mit der Brechung von Erwartungshaltungen spielt Alwin Lay im Braunschweiger Museum für Photographie

Alles analog: „Urquell/Fountainhead“ (2015) Foto: Alwin Lay © VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Von Bettina Maria Brosowsky

Weder Porträt noch Landschaft oder Architektur: Die klassischen Themen der Fotografie scheinen Alwin Lay, derzeit präsent im Braunschweiger Museum für Photographie, nicht zu interessieren. Man könnte das, was er in Einzelbildern und Bildfolgen oder als Video festhält, im weitesten Sinn als Versuchsaufbauten bezeichnen: Oft wird ein Prozess in Gang gesetzt, der dann aber nicht so abläuft wie erwartet – und stattdessen ein überraschendes Ende findet.

So kann man etwa in dem Drei-Minuten-Clip „Push Pin“ – auf der Videoplattform Vimeo zu finden – verfolgen, wie ein pinkfarbener Luftballon, kopfüber hängend, sukzessive aufgeblasen wird. Sein sich ständig vergrößerndes Volumen nähert sich einer Reißzwecke, die unter ihm liegt. Man wartet förmlich auf den Knall. Aber nichts dergleichen passiert: Der Ballon kippt den gefährlich spitzen Nagelstift souverän zur Seite und begräbt ihn unter sich.

In seiner Einzelausstellung zeigt das Braunschweiger Museum noch bis zum Monatsende Arbeiten aus den vergangenen zehn Jahren, aber auch ganz neue, in denen sich Lay auf seine Weise mit der Fototradition der Stadt beschäftigt. 1984 in Rumänien geboren und in Bayern aufgewachsen, hat Lay 2013 bei dem Medien- und Lichtkünstler Mischa Kuball in Köln diplomiert – Kuball zeigt seine multimedialen „Referenz-Räume“ demnächst im Kunstmuseum Wolfsburg – sowie vorher bei Christopher Williams in Düsseldorf studiert. Dieser etwas verkopfte US-amerikanische Fotokünstler wiederum war 2018 in der Hannoverschen Kestnergesellschaft mit teils leeren Stellwänden und reinszenierter Werbefotografie angetreten – ein Sezieren und systematisches Vorführen der Selbstreferenzialität der gängigen Ausstellungstheatralik.

Zwischen diesen Polen bewegen sich nun die Arbeiten Lays. Hinzu kommt ein gehöriger Schuss absurden Humors, sodass sich sein Werk in sympathischer Weise von dem seiner Lehrer abhebt. In die Kategorie Augenzwinkern zählen auch seine Titel, etwa wenn 2016 eine Ausstellung im Kunstverein Leipzig hieß: „Der entscheidende Augenblick musste verschoben werden.“ Lay rekurrierte dabei auf das Mantra von Henri Cartier-Bresson: Der große französische Fotoreporter (1908–2004) schwor als Geheimnis seiner stets verblüffenden Bildergebnisse auf den entscheidenden Augenblick – „le moment décisif“.

Also geht es bei Lay offensichtlich auch um einen medienreflexiven Ansatz, um Gegenmodelle zu den Mythen der Branche. Das zeigt sich etwa, wenn er Fotomaterialien – eine 35-mm-Filmpatrone, perforierte Filmstreifen oder ein Blatt Fotopapier, durch das eine Schneideklinge rauscht – zu maßstablosen Sujets jenseits ihrer bekannten Originalgrößen und Einsatzzwecke erklärt. Umgekehrt kann das Fotopapier aber auch den Finger des Künstlers verletzen; eine allerdings nur angedeutete Geschichte, die die Betrachtenden in Gedanken selbst fortsetzen müssen.

Penible Inszenierungen

Stets sind seine Klein-Installationen penibel in einem neutral grauen Raum inszeniert, der Boden ist dunkler, die Rückwand hell; oder Lay platziert sie auf einem Sockel inklusive Glashaube. Beides sind Hinweise auf den potenziell musealen Verwertungskontext jeder künstlerischen Bilderfindung. Das alles baut Lay im Studio handwerklich auf, ohne digitale Manipulation oder gar „Bildgenerierung“, die er vehement ablehnt – wie auch jenen oberflächlichen Humor, dem schon sein Lehrer Williams den Kampf angesagt hatte.

So sollte man Lays Fotografien nicht auf vordergründigen Slapstick reduzieren, sondern sie als stille, konzeptionelle Objekte sehen, die sich durch Assoziationen oder Appropriationen aus dem Fundus der Kunst oder Fotografie bedienen, aber deren Bilderwartung negieren oder zumindest unterwandern.

Diese Strategie wird überdeutlich, wenn Lay für seine ortsspezifische Arbeit eine doppeläugige Rolleiflex einsetzt, das Flaggschiff der vormaligen Braunschweiger Fotoindustrie und lange Standard unter Fotograf:innen: Er inszeniert sie auf der hölzernen Innentreppe des Museums, taucht sie in eine geheimnisvolle Lichtstimmung, wie aus dem Kino der 1950er-Jahre. Allerdings dient der Fotoapparat nun nicht mehr als solcher. Er ist zum Scheinwerfer umfunktioniert und liefert so das Medium, dessen er sich normalerweise bedient. Und Lay porträtiert diese gleichermaßen bekannte wie unbekannte Situation wiederum fotografisch.

Alwin Lay, „Prego“: bis 30. 5.,, Museum für Photographie Braunschweig. Anmeldung unter ☎ 0531-750 00 oder info@photomuseum.de

Digital dialogues – sieben digitale „umfangreiche Einblicke“ in die Ausstellung: 17.–23. 5., www.photomuseum.de

Dialogführung „Die Fotofirma Rollei“ (zusammen mit dem Städtischen Museum Braunschweig): So, 16. 5., 15 Uhr, Treffpunkt vor dem Städtischen Museum

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen