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Archiv-Artikel

Neubau unvorstellbar

In St. Pauli sollen zwei alte Häuser abgerissen werden. Die Wohlwillstraße droht dabei ihr Gesicht zu verlieren. Autos würden durch den Garten rollen

„Es haben schonviele Leute gesagt: ,Hier würd‘ ich auch so einziehen‘“

von Gernot Knödler

Die Wohlwillstraße in St. Pauli ist historisches Terrain beim Häuserkampf. Durch Besetzungen und Proteste konnten in den 1970er und -80er Jahren viele Terrassenhäuser gerettet werden. Jetzt sollen die aneinander anschließenden Vorderhäuser Nummer 19 und 23 dran glauben. Eine Modernisierung sei zu teuer, argumentiert die Stadtentwicklungsgesellschaft (Steg), die die Häuser für die Stadt treuhänderisch verwaltet. Anwohner befürchten die Zerstörung des Straßenzuges. Die einzigen beiden hässlichen Häuser im südlichen Teil der Straße sind Nachkriegsbauten. Die Frage „Sanierung oder Neubau“ wird derzeit vom Sanierungsbeirat Wohlwillstraße verhandelt, der dazu gehört werden muss. Einen Bauantrag hat die Steg noch nicht gestellt.

Das Interesse an dem Fall ist so groß, dass die jüngste Sitzung des Sanierungsbeirats diese Woche in den leicht verwilderten Garten der Wohlwillstraße 19/23 verlegt wurde. 50 Menschen – die Mitglieder des Sanierungsbeirats und Gäste – saßen zwischen Bäumen und Beeten um einen großen Holztisch herum, während Quartiersbetreuer Ralf Starke die Geschichte der Häuser und die Sanierungsabsichten der Steg rekapitulierte.

Die Häuser 19 und 23 wurden in den 1870er Jahren gebaut. Ihre beiden Terrassen, also die langen, schmalen Hinterhäuser, riss die Sanierungswelle der 70er und 80er Jahre mit sich fort. Die Nachbarhäuser 13 bis 17, deren Terrassen gerettet werden konnten, gelten Denkmalschützern als „eines der wichtigsten Bauzeugnisse des Arbeiterwohnens im 19. Jahrhundert“.

1997 übernahm die Steg als Sanierungsträgerin die Häuser 19 und 23. Sie bewog die Mieter zum Auszug, mit dem Versprechen, sie könnten später in ihre sanierten Wohnungen zurückziehen. Bei einer eingehenden Inspektion stellten Gutachter „gravierende Bauschäden“ fest.

Die Häuser stünden ungenügend gegründet auf weichem Boden und hätten sich darum über Jahrzehnte verzogen. Die Gutachter fanden schiefe Türen, mehrfach ausgebesserte Risse und Fußböden, die von einer Wand zur anderen um 15 Zentimeter abfallen. Eine Modernisierung auf den heutigen Standard ist laut Starke unbezahlbar: Der Einbau etwa von Bädern und die damit verbundene Änderung der Lastverteilung werde zu neuen Setzungen führen. Eine nachträgliche Verbesserung der Gründung sei teuer. Insgesamt sei eine Sanierung wohl mehrere Hundert Euro teurer pro Quadratmeter als ein Entkernen des Altbaus oder gar ein Neubau.

Aus Sicht der Beiratsteilnehmer ist das keineswegs ausgemacht, denn Entkernung wie Neubau haben ihre Tücken: Die Wände zu den Nachbarhäusern müssten aufwändig abgestützt werden, wobei Schäden nicht auszuschließen wären und es müssten Parkplätze im Souterrain gebaut werden mit dem Haken, dass die Wagen durch den Garten rollen würden.

Eine direkte Zufahrt von der Wohlwillstraße aus würde nach Auskunft Starkes Parkraum beanspruchen, auf den die Baubehörde nicht verzichten wolle. Von neun von insgesamt 19 Parkplätzen darf die Steg sich freikaufen, zehn muss sie bauen – auch wenn dafür die Anwohner des Hofes leiden müssen.

„Der Garten ist Lebensqualität“, sagt Andreas Schrank, Ladenmieter in einem der Häuser. Er verlangt, dass behutsam mit den denkmalwürdigen Häusern umgegangen und der billige Wohnraum erhalten werde. Die Steg verweist darauf, dass die Einstiegsmiete eines Neubaus nur bei 5,40 Euro pro Quadratmeter läge, für die zurückkehrenden Altmieter bei 4,61 Euro.

Zumindest für neue Mieter würde sich dieser Betrag schnell erhöhen, warnt Ingolf Goritz (GAL) vom Ausschuss für Wohnen und soziale Stadtentwicklung in Mitte. Wie Schrank schlägt er eine Grundsanierung vor, die zwar nicht ganz den heutigen Wohnstandards gerecht werde, dafür aber den vielen Menschen, die immer weniger Geld zur Verfügung haben eine Bleibe schaffe. „Es haben schon viele Leute diese Wohnungen gesehen und gesagt: ,Ey, da würd‘ ich doch so einziehen‘“, behauptet Schrank.