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Selbst die Pflanzen im Wald

Die Ausstellung „The End of the Fucking Work“ in der Galerie am Turm versucht sich an einem großen Thema, scheitert dann aber an einer viel zu braven Herangehensweise

„The End of the Fucking Work“: Arbeitskleidung von Warwara Stepanowa, 1922 Foto: Eric Tschernow

Von Tom Mustroph

Der Arbeitsbegriff hat sich immer stärker in der Kunstszene durchgesetzt. Nicht nur werden die Resultate der künstlerischen Tätigkeit gern als Arbeiten bezeichnet. Im Bestreben, das Genialische aus der Kunst auszutreiben und den Schulterschluss mit den werktätigen Massen zu suchen, fand die Definition künstlerischen Tuns als Arbeit in den letzten 100 Jahren immer größere Verbreitung. Dem Verhältnis von Lohnarbeit und künstlerischer Arbeit widmet sich aktuell die Ausstellung „The End of the Fucking Work“ in der Friedrichshainer Galerie im Turm. Der Ort, in einem repräsentativen Eckhaus der Karl-Marx-Allee, also der ostdeutschen Prachtstraße des Arbeiterbarocks schlechthin, könnte nicht besser gewählt sein.

Frühsozialistische Kunst gibt es auch. Aus dem Jahr 1922 stammt im Stil des Konstruktivismus gehaltene Arbeitskleidung. Warwara Stepanowa, eine gelernte Näherin, die rasch Zugang zur russischen Avantgarde um Wassili Kandinski fand und später Ehefrau von Alexander Rodtschenko wurde, entwarf äußerst dynamisch wirkende und aus strapazierfähigen Stoffen gefertigte Arbeitskittel für Ärzte, Haushaltshilfen und andere Berufsgruppen. Einige der Entwürfe gingen in Serie. Besonderen Reiz hat das Medizinerkleid. Stepanova verpasste den „Göttern in Weiß“ große schwarze und weiße Flächen, die sich zu einem unregelmäßigen Karomuster formten. Auf der rechten oberen Seite prangte ein großes rotes Kreuz. Die Seitenteile schnitt sie schräg etwa auf Höhe der Hüfte ab. Das verlieh dem Kleidungsstück den Charakter eines Kostüms für Tänzerinnen und Tänzer. Stepanowa war auch als Ausstatterin für Bühnenproduktionen tätig.

Ihre Arbeiten aufzuspüren ist ein Coup der Kuratorin Linnéa Meiners. Andere Positionen illustrieren lediglich weithin Bekanntes. Harun Farockis 1978 für den WDR produziertes Feature „Ein Bild von Sarah Schumann“ stellt ziemlich didaktisch die Arbeitsschritte der Künstlerin Sarah Schumann bei der Verfertigung eines Bildes vor. Für Menschen, die künstlerische Arbeit als luftige Spielerei betrachten mögen, wird der Produktionszeitraum über drei Monate betont. Ab und an sieht man helfende Hände, die die Künstlerin beim Aufkleben größerer Collageteile auf die Leinwand unterstützen. Damit ist auch das Kästchen „Kunst ist nicht immer einzelgängerische Tätigkeit“ fein angekreuzt.

Man fühlt sich zudem glattweg an den Karl Valentin zugeschriebenen Stoßseufzer „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“ erinnert. Jüngst wurde aufgeklärt, dass der Spruch gar nicht von Valentin selbst stammt. Vielmehr fiel er 1932 in der damals als „erster Operntonfilm überhaupt“ beworbenen Filmfassung von Bedrich Smetanas Oper „Die verkaufte Braut“ aus dem Munde der Tänzerin Esmeralda. Von einem Jungbauern wegen ihres Akkordeonspiels angehimmelt – „Die Kunst ist schön“, sagte er – erwiderte sie: „Macht aber viel Arbeit!“ Und der Bauer bestätigte: „Ja.“ Valentin spielte in der Filmfassung des damals durchstartenden Max Ophüls immerhin den Zirkusdirektor. Die kurze Filmszene hätte der Ausstellung gut angestanden. Schließlich steckt in ihr ja auch schon die Bestätigung der Härte und Schwere der Kunstarbeit.

Völlig unbesetzt bleibt das Feld der Auseinandersetzung mit dem Geld

Stattdessen läuft der im Titel schon alles verratende Dokumentarfilm „She Works Hard“ der Burg-Giebichenstein-Absolventin Kathrin Lemcke. Darin geht es um Kollaborationen und Utopien von Künst­le­r*in­nen und Kulturschaffenden. Und dann sieht man vor allem, wie kollektiv an einem Buch gewerkelt wird.

Da hätte man sich schärfer konturierte Arbeiten zu den Potentialen, aber auch den Reibungsverlusten kollektiven Arbeitens gewünscht. Völlig unbesetzt bleibt das Feld der Auseinandersetzung mit dem Geld, dem Kunstmarkt, der Wertzumessung von Kunst und den Reproduktionsprozessen künstlerisch Tätiger. Da verspricht die Ausstellung weit mehr, als sie schließlich einlöst.

Den Blick weitet immerhin die Rauminstallation „Forst“ des Berliner Künstlerduos Anna Borgman & Candy Lenk. Grün gefärbte, senkrecht befestigte Rohre ragen wie Baumstämme in die Höhe. Eine Wandbemalung mit ähnlichen Motiven verlängert diesen artifiziellen Wald ins Unendliche. Auch die Pflanzen im Wald sind dem Arbeits- und Ausbeutungsprozess unterworfen. „Alles Arbeit unter der Sonn‘“, sagte schon Georg Büchners tragischer Prolet Woyzeck. „Sogar Schweiß im Schlaf“, geht der Spruch weiter. Etwas mehr von diesem durch Erkenntnis geprägten schwarzen Humor hätte dieser dann doch zu braven Ausstellung zu einem sehr relevanten Thema besser getan.

Bis 27. 6., Galerie im Turm, Besuch mit Zeitfensterticket und tagesaktuellem negativem Schnelltest

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