: Wie Darwin auf Speed
Die Wölfe kehren zurück, die Papageien sind schon da, selbst im Rhein tummeln sich robuste Einwanderer. Gegen die biologischen Invasionen ist ohnehin kein Kraut gewachsen
von ARNO FRANK
Ihre Heimtücke sah man der Wasserhyazinthe nicht an, ihre Schönheit schon. Ursprünglich in Südamerika ansässig, wurde sie ihrer lilafarbenen Blüte und der prächtigen Blätter wegen in den Teich eines botanischen Gartens nach Java verpflanzt. Um 1900 dann muss ein Gärtner die Wasserhyazinthe in einen Fluss geworfen haben. Schon fünf Jahre später hatte die Südamerikanerin die Tropen Asiens unterworfen, in Afrika den Kongo besiedelt und von dort einen Weg in die USA gefunden.
Wo sie auftaucht, bildet sie binnen kürzester Zeit dichte, schwimmende Teppiche aus bis zu 75 Tonnen Biomasse, entzieht den Ökosystemen darunter Sauerstoff und Licht, begünstigt die Malaria, blockiert Schiffswege und legt Kraftwerksturbinen lahm. Dabei ist die Karriere der Wasserhyazinthe nur eines von vielen Vorzeichen einer Umweltveränderung, die nach Auffassung von Experten der Artenvielfalt auf diesem Planeten bald ähnlich gefährlich werden könnte wie die Verschmutzung von Menschenhand.
Anpassungsfähige Organismen aus Fauna oder Flora, die sich jenseits ihrer angestammten Nischen in anderen Ökosystemen ein neues Zuhause suchen, gehören eigentlich zur täglichen Routine der Evolution. Das Leben sucht sich halt sein Plätzchen, ob in der Hitze schwefelhaltiger Unterwasservulkane oder in den eisigen Höhen des Himalaja. Ein Lebewesen in seiner biologischen Nische „gefährlich“ zu nennen, wäre also absurd. Gefährlich wird es erst, wenn es durch sein Eindringen in fremde Lebensräume die vorgefundenen Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringt.
„Bioinvasion“ nennen das die Biologen, sogar Fachbegriffe haben sie sich für die illegalen Einwanderer ausgedacht. Neue Tiere werden als Neozoen, neue Pflanzen als Neophyten bezeichnet – ein Name, den schon Aristoteles für die nach Griechenland eingeführte Papyruspflanze geprägt hatte. Die kam ursprünglich aus Ägypten, wo sich damals schon drei schreckliche Bioinvasoren auf die Eroberung der Welt vorbereiteten.
Erstmals in der Evolutionsgeschichte existierte am Nil eine landwirtschaftende Hochkultur, die der Katastrophe einer Hungersnot mit einem einfachen Trick begegnete: dem Getreidespeicher. Künftig war nicht mehr das ausbleibende Nil-Hochwasser zu fürchten, sondern – die Maus und ihr kräftiger Kollege, die Ratte. Gerade recht kam da ein kleines Raubtier aus Nubien, das von den Ägyptern wegen seiner Verdienste beim Dezimieren der Nager bald göttlichen Status genießen durfte: die Katze.
Das fatale Trio aus Maus, Ratte und Katze weicht dem Menschen seitdem nicht mehr von der Seite. Die exotischen Vögel auf Neuseeland könnten davon ein Lied singen, wenn es sie denn noch gäbe. Aber selbst darin ließe sich noch „der Gang der Dinge“ erkennen, wäre da nicht der größte Bioinvasor von allen, ein aggressiver Primat, der sein angestammtes Revier in Ostafrika verlassen und dank unermüdlicher Reisetätigkeit jeden Ort auf dem Globus erobert hat. Ein Primat, der in Panama einen Kontinent durchstoßen hat, damit atlantisches Plankton sich mit pazifischem kreuzt, der mit Kernkraftwerken seine Flüsse beheizt, damit sich Muscheln ansiedeln können, der in den Ballastwassertanks seiner Schiffe und im Profil der Reifen seiner Flugzeuge weltweit Leben in allen Formen verteilt, ein großer Sämann und Sensenmann, der Mensch.
Nicht zufällig wählten Biologen das Jahr 1492 als „Wasserscheide“ zwischen fremden und einheimischen Pflanzen. Erstens markiert Columbus‘ Entdeckung Amerikas den Beginn der Globalisierung, zweitens schleppte er unbemerkt den Schiffsbohrwurm nach Europa ein, wo sich der karibische Holzfresser bestens einlebte.
Ganz bewusst brachten Europäer Amsel, Drossel, Fink und Star nach Neuseeland, um der Natur eine vertraute Akustik zu geben. An der Funktion des Menschen als Spediteur genetischen Materials hat sich seitdem nichts geändert – bis auf die bedrohliche Steigerung von Tempo und Frequenz seiner Reisetätigkeit.
Über die Folgen dieser Entwicklung wurde auf internationaler Ebene erstmals 1992 Rio verhandelt und ein „Übereinkommen zum Schutz der Artenvielfalt“ durch Bekämpfung von Bioinvasoren getroffen.
Und die Deutschen? Freuen sich einstweilen über Papageien am Rhein, Füchse in Berlin, über Wölfe und all die anderen lustigen illegalen Einwanderer in ihren Parallelgesellschaften. Wir können nur beobachten. Und, neuerdings, mit Hilfe genetischer Manipulationen der Evolution unter die Arme greifen. Damit sie uns endlich abschafft.