berliner szenen: Ältere Herren unter sich
Es ist Vormittag, und ich stehe im Treppenhaus vor der Praxis meines Hausarztes in der Schlange zur Anmeldung, um etwas abzuholen. Ich mustere die Umstehenden und stelle fest, dass nur ältere Herren warten. Ab und zu öffnet sich der Fahrstuhl gegenüber der Eingangstür, spuckt einen weiteren Mann um die 70 aus. Sofort kommt Bewegung in die Menge. Die Herren machen sich breit und schauen ungehalten, bis sich der Eindringling an das Ende der Schlange begibt. Wieder kommt einer aus dem Fahrstuhl. Er trägt wie die beiden vor mir eine beige Übergangsjacke und ein kleines Käppchen auf dem Kopf, unter dem sich im Nacken Locken hervorkringeln.
„Ach, entschuldigen Sie“, sagt er zu den beiden Männern vor mir. „Ich muss nur meinen Stock holen, den habe ich hier vergessen.“
„Bitte, bitte“, sagt der eine und weist auf die Tür.
Der Mann geht hinein, holt seinen Stock aus dem Schirmständer und sagt beim Herauskommen: „Da war ich schon zu Hause und hab doch glatt den Stock vergessen.“
„Dann brauchen Sie den Stock ja gar nicht“, stellt der vor der Tür fest.
„Nun ja. Es geht viel langsamer ohne. Dachte schon auf dem Weg, was kriechst du heute wie ’ne alte Kröte, bis meine Frau zu Hause sagt: Wo hast du denn den Stock gelassen?“
Die Herren lachen.
„Na dann, alles Gute noch.“
Die Herren nicken.
„Sind Sie auch wegen der Prostata hier?“
Die Herren murmeln unbestimmt. Sein Blick fällt auf mich.
„Ach, die Jungen trifft es auch schon.“
„Mich nur nicht an der Prostata“, sage ich und lache. Der Mann guckt genauer. Seine Augen sind blau und wässerig über der Maske.
„Ach, Verzeihung, meine Brille habe ich vergessen, als ich los bin, um den Stock zu holen.“ Isobel Markus
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