: Abgeordnete machen den Weg frei für Zensur im Internet
RUSSLAND Gesetz zum „Schutz von Kindern vor Informationen“ ermöglicht Webseitenschließung
„MOSKOWSKI KOMSOMOLEZ“
BERLIN taz | Das russische Parlament, die Duma, hat am Mittwoch ein umstrittenes Gesetz über die Freiheit im Internet beschlossen. Von 450 Abgeordneten stimmten 441 für die geänderte Fassung, die am 1. November in Kraft tritt.
Die neue Version des Gesetzes „Über den Schutz von Kindern vor Informationen, die der Gesundheit und Entwicklung schaden“ sieht die Einführung einer schwarzen Liste von Websites vor, die für Kinder schädliche Informationen veröffentlichen. Darunter fallen unter anderem Pornografie sowie Anleitungen zum Drogenmissbrauch und Suizid. Die Webseiten sollen von entsprechenden staatlichen Stellen zunächst geprüft und dann, nach vorheriger Verwarnung des Betreibers, verboten werden können.
Die Verschärfung des Informationsgesetzes hatte zahlreiche Kritiker auf den Plan gerufen. So waren die Macher der russischsprachigen Version von Wikipedia am Dienstag in einen Streik getreten und hatten ihre Website (www.ru.wikipedia.org) für 24 Stunden abgeschaltet. Zur Begründung der Aktion hieß es, das Gesetz könne zu einer außergerichtlichen Zensur des ganzen Internets in Russland führen, was bedeute, dass auch Wikipedia auf Russisch nicht mehr erreichbar sei. Und: „Wir wenden uns gegen die Einführung von Zensur, die eine Gefahr für freies und der gesamten Menschheit zugängliches Wissen bedeutet“, war auf der ansonsten inhaltsfreien Webseite zu lesen.
Auch der neue Minister für Telekommunikation, Nikolai Nikiforow, hatte sich skeptisch gezeigt. Das Gesetz sei zwar im Grunde richtig, hatte er unlängst getwittert, es gebe aber Probleme mit dem Mechanismus seiner Umsetzung.
Die jüngste Gesetzesänderung ist eine weitere Maßnahme der Regierung, um gegen ihre Kritiker vorgehen zu können. Vor wenigen Wochen wurde das Demonstrationsrecht drastisch verschärft. In der vergangenen Woche winkte die Duma in erster Lesung ein Gesetz durch, demzufolge sich vom Westen finanzierte Nichtregierungsorganisationen (NGOs) als „ausländische Agenten“ bezeichnen müssen. Sollten NGOs Hilfen aus dem Ausland nicht offen legen, können sie ohne Gerichtsbeschluss für sechs Monate verboten werden und müssen Mitarbeiter mit Geld- oder Haftstrafen rechnen.
Am Mittwoch billigte die Duma zudem in erster Lesung ein Gesetz, mit dem Beleidigungen mit Geldbußen bis zu umgerechnet 125.000 Euro oder fünf Jahren Haft bestraft werden können. Die Tageszeitung Moskowski Komsomolez merkt dazu an. „Dieses Gesetz ist nicht nur eine Abrechnung mit der Presse. Es ist die endgültige Vernichtung der Protest- und Versammlungsbewegung.“ BARBARA OERTEL