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Archiv-Artikel

„Die Hure ist eine Märchengestalt“

SEX & CRIME Prostitution nach dem „All you can handle“-Prinzip hat die Debatte um Sexarbeit wieder angefacht. Aber ein Verbot ist keine Emanzipation, sagt die Expertin Anna Kontula

„Prostitution ist ein Teil unserer Arbeitswelt. Das muss man einfach begreifen“, sagt Anna Kontula

VON INES KAPPERT

Zahle 70 Euro und hab so viel Sex, wie du verkraften kannst – so verspricht es die Werbung. Die Öffentlichkeit empört sich. Mit vielen Worten nimmt sie den ausgebeuteten Frauenkörper in Schutz. Die organisierten Sexarbeiterinnen winken ab: Die Arbeit in den „Flatrate-Bordellen“ sei nicht so dereguliert, wie der Begriff vermuten ließe. Dennoch solle man sich keine Illusionen hingeben: Das Geschäft auf dem Sexmarkt ist hart.

Wer sich der Prostitution von der Praxis her nähert und Fragen der Moral erst mal beiseite schiebt, wird mit Empörung überschüttet. Das gilt in Deutschland genauso wie in Gesellschaften, die Gleichberechtigung zur Chefsache erklärt haben – Schweden, Norwegen und auch Finnland zum Beispiel. Trotzdem lohnt es, den Blick nach Norden zu richten. Denn ausgerechnet die Länder, die für ihre Gleichstellungspolitik berühmt sind, setzen zunehmend auf die Kriminalisierung von kommerziellem Sex.

Strafen für Freier

Allen voran Schweden, es begreift das Angebot und den Kauf von sexuellen Dienstleistungen als zentralen Ausdruck eines Gewaltverhältnisses zwischen Männern und Frauen. Seit 1999 ist Prostitution verboten, bestraft werden aber nur die Freier. Die Begründung: Duldet der Staat die Prostitution und kassiert Steuern, dann macht er sich selbst zum Zuhälter. Frauen, die in die Lage geraten seien, „sich“ an Männer zu verkaufen, müsse der Staat daher bei der beruflichen Umorientierung helfen. Auch Ursula von der Leyen erklärte nach ihrem Amtsantritt: „Der Ausstieg aus der Prostitution ist unser wichtigstes Ziel.“ Denn: „Prostitution ist kein Beruf wie jeder andere.“ Die Zeitschrift Emma feierte den 24. Januar 2007 als Tag, der „in die Geschichte der Emanzipation“ eingehen werde.

Im Januar 2009 überbot Norwegen seine schwedischen Nachbarn mit einem noch strengeren Antiprostitutionsgesetz. Kaufen norwegische StaatsbürgerInnen Sex, machen sie sich strafbar – selbst wenn die Interaktion im Ausland stattfindet. In Oslo sieht man in den einschlägigen Straßen seitdem keine entsprechend gekleideten Damen mehr und auch der Trip nach Russland, Thailand oder ins Baltikum birgt von nun an zumindest nominell ein Risiko für die Konsumenten. Schweden überlegt inzwischen nachzuziehen. Und Finnland?

Hier versuchte man sich bislang mit einer weniger radikalen Lösung. Seit 2007 gilt ein Gesetz, das den Sexkauf bei einer Prostituierten unter Strafe stellt, sofern sie mit einem Zuhälter arbeitet oder illegal im Land ist. Was sich moderat anhört, ist nach Ansicht der populärsten Politikerin Finnlands zutiefst fremdenfeindlich. Unterm Strich, so die Analyse der Politikerin Anna Kontula, spiele das Gesetz einheimische Sexarbeiterinnen gegen ausländische aus. „Hierzulande arbeiten finnische Sexarbeiterinnen meistens unabhängig, Ausländerinnen hingegen haben häufig einen Zuhälter. Die Folge des Verbots ist damit, dass die ‚besten‘ Kunden keinen Sex mehr bei Ausländerinnen kaufen. Die verdienen entsprechend weniger und kriegen mit Kunden zu tun, die eher nicht den vereinbarten Preis zahlen wollen.“ Strikt argumentiert Kontula von der Praxis her.

Ihre Einsichten ins Milieu haben der gerade mal zweiunddreißigjährigen Soziologin und Berufspolitikerin (Linkspartei) einen schlechten Ruf, aber viel Aufmerksamkeit beschert. Die meisten Finnen kennen sie und fast alle müssen lächeln, wenn ihr Name fällt: „Wer mich sieht, denkt an Sex“, kommentiert sie ihre Berühmtheit nüchtern.

Wie aber kann ein Nationalstaat Prostituierte vor Übergriffen schützen? Diese Frage macht Kontula ungeduldig. „Der beste Weg, Frauen in wirklich schlechter Position zu schützen, ist die Zusammenarbeit mit den Klienten.“ Aha. Und was heißt das? „Wenn du in einem Keller eingesperrt bist, sind Kunden die einzigen, die dich sehen und das vielleicht nicht okay finden. Die also der Polizei den Weg weisen können. Klienten sind nicht der einzige, aber ich denke, der beste Weg, Informationen über diese wirklich brutalen Verhältnisse zu bekommen.“

Fragen stellen anstatt zu strafen. Reizend. Damit lässt sich gegen Ausbeutung vorgehen? Aber der Ansatz ist nicht so naiv, wie er zunächst anmuten mag. Denn wer gezielt Verbrechen ahnden möchte, muss das Rotlichtgewerbe entmystifizieren. Und das heißt zunächst mal, hinzusehen und unterscheiden zu können zwischen Prostitution und Frauenhandel, zwischen dem (Ver-) Kauf sexueller Dienstleistungen und weiblicher Ausbeutung. Diese so überfällige Differenzierung verweigern bis dato die meisten. Sie nämlich würde verlangen, tatsächlich über den Sexmarkt zu reden – und nicht über Geschichten und Filme, die um gefallene Frauen kreisen und die eigene Phantasie herausfordern. Die, anders formuliert, in der ein oder anderen Weise das für die bürgerliche Gesellschaft grundlegende Diktum aktivieren: Guter Sex übersetzt Liebe in Lust. „Es ist schon erstaunlich“, merkt Kontula an, „geht es um Nutten, reden die meisten über Filme. Die Hure ist für sie eine Art Märchengestalt. Deswegen darf sie auch nicht Teilzeit arbeiten, Kinder in den Kindergarten bringen, einkaufen gehen und Freunde zum Abendessen einladen. Sie muss das Andere bleiben und für uns Anständige das anziehend-abstoßende Fremde verkörpern.“

Das Stichwort Teilzeit fällt nicht umsonst. Kontula veröffentlichte 2004 eine Studie, die feststellte, dass ein Gutteil der finnischen Prostituierten täglich nur stundenweise im Gewerbe arbeitet; und die andere Zeit eben jenes Leben leben, das Frauen vorbehalten bleiben soll, die die unbedingte Verschmelzung von Liebe und Sex nicht in Frage stellen. Entrüstung brach über die Autorin herein: Hure ist man nicht teilzeit, sondern wenn schon nicht ein Leben lang, dann doch auf alle Fälle ganztags.

Aber, fährt Kontula fort, nicht nur die Patriarchen krallten sich am schillernden Schattenwesen der käuflichen Frau fest. Auch, und das ärgert die Feministin natürlich noch viel mehr, auch viele Feministinnen versteiften sich darauf, dass ein auf den Moment gerichteter und auf kommerzieller Absprache basierender Sex pauschal etwas Schlechtes und Destruktives sei. Aus dieser Perspektive betrachtet, erscheinen Männer oftmals als eine Art Tier, das seine sexuellen Bedürfnisse nicht zu kultivieren vermag, sondern triebhaft handelt – insofern eine zivilisierte Gesellschaft aufgerufen ist, sie/ihn/es an die Leine zu legen.

Würde sie selbst denn Sex kaufen wollen? Kontula winkt ab: „Ich persönlich halte nichts vom kommerziellen Sex. So wie ich generell finde, Dinge sollten nicht des Geldes wegen gemacht werden. Das gilt für das Schreiben, die Pflege von Menschen und eben auch für Sex. Aber zu sagen: Sex ist etwas ganz anderes als Dinge, die wir sonst verkaufen, halte ich für komplett falsch. Prostitution ist ein Teil unserer Arbeitswelt. Das muss man einfach mal begreifen. Es gibt viele gute Jobs in diesem Marktsegment. Und es gibt Frauenhandel, der mit ungeheuer brutalen Verhältnissen verbunden ist.“

Das klingt so einfach und so einleuchtend. Warum hat die Politikerin so wenig MitstreiterInnen? „Sex ist eine so komplizierte Sache, und Prostitution auch. Wenn du dieses Problem tatsächlich lösen wolltest, müsstest du riesige Probleme lösen: Migration, illegale Migration, das Arbeitsleben, das soziale Gefälle usw. Also hofft man: Wenn ich die Prostitution verbiete, bin ich sie irgendwie los.“

Schweden nun hat die Sexarbeit nicht abgeschafft, sondern die Kontaktaufnahme von der Straße ins Netz abgedrängt. Laut Polizeiangaben spiele sich der Frauenhandel inzwischen aber vor allem in Finnland ab. Ideologisch hält die Linie: Bereits in der Grundschule soll klar gemacht werden: Wer Sex kauft, beutet Frauen aus. Eine Vagina sei nun mal keine Bohrmaschine.

Männer schweigen

Gibt es eigentlich männliche Gegenstimmen? Immerhin besitzen die meisten Kunden ein Y-Chromosom. Kontula lächelt. „Wenn Männer in der Öffentlichkeit stehen und klug sind, sagen sie nichts.“ Sobald sich nämlich ein Mann zum Thema äußert, egal mit welcher Ansicht, gerät er umgehend unter Verdacht, auch er sei ein Kunde. Heißt: Er verliert seine Integrität.

Daher ist das öffentliche Gespräch über Prostitution ein vorwiegend weibliches. Das ist natürlich absurd. Aber Symptom dafür, dass es bislang fast unmöglich ist, über Prostitution zu reden und dem Gut-böse-Mann-versus-Frau-Schema zu entkommen. So werden auch die Erfahrungen von Männern tabuisiert und mit Mythen vom brutalen, allzeit bereiten Mann belegt. „Ich rede auch nicht gern öffentlich über männliche Kunden“, bemerkt Kontula. „Denn sage ich: Nicht alle sind schlechte Menschen und dass viele Prostituierte mir erzählt haben, wie verletzlich ihre Kundschaft ist, dann heißt es sofort: Die Kontula verteidigt sexuelle Gewalttäter. Und das ist ganz sicher nicht meine Absicht.“