Erbitterter Streit um Zucker

Um knapp 40 Prozent sollen die EU-Zuckerpreise sinken. Am Montag wollen die EU-Landwirtschaftsminister in Brüssel beraten – Bauern und Entwicklungsländer mobilisieren zum Protest. Ihr Argument: Es würden nur fünf Bauern in Brasilien profitieren

AUS BRÜSSEL RUTH REICHSTEIN

Die Zuckermarktreform der EU sorgt für ungewöhnliche Allianzen: Nicht nur die europäischen Bauern protestieren – sondern auch einige AKP-Staaten, also Entwicklungsländer in Afrika, in der Karibik und im Pazifik. Sie alle fürchten um ihre Einkünfte und sagen den Verlust von tausenden von Arbeitsplätzen voraus.

Die EU-Kommission will nämlich den Preis für Weißzucker um knapp 40 Prozent senken. Denn bisher hat die EU ihren Bauern Preise garantiert, die deutlich über dem Weltmarktniveau liegen. Mit der Preissenkung will die Kommission die EU-Zuckerüberproduktion zumindest drosseln. Gleichzeitig würde sie den Anforderungen der Welthandelsorganisation WTO entsprechen.

„Diese radikale Preissenkung hätte für viele AKP-Staaten zerstörerische Auswirkungen“, sagt Arvin Boolell, Landwirtschaftsminister in Mauritius und Sprecher der zuckeranbauenden AKP-Staaten. Allein in seinem Land würden rund 60.000 Familien ihr Einkommen verlieren. Für die Jahre 2006 bis 2010 rechnet Boolell für sein Land mit einem Export-Minus von rund 250 Millionen Euro.

Insgesamt produzieren 18 AKP-Staaten Zucker – meist schon seit über drei Jahrhunderten. „Aufgrund unserer klimatischen und geografischen Gegebenheiten können wir weder Reis noch Mais anbauen. Wir haben Alternativen zum Zucker ausprobiert und sind damit gescheitert. Wir hängen von den Zuckerrüben ab“, sagt Boolell. Er fordert von der EU höhere Ausgleichszahlungen. Die Kommission sieht für die kommenden Jahre jährlich 40 Millionen Euro für die 18 betroffenen AKP-Staaten vor.

Nichtregierungsorganisationen wie Oxfam fordern hingegen 100 Millionen Euro für 2006 und jährlich 500 Millionen Euro für die folgende Zeit. Diese Summen halten auch die AKP-Staaten für realistisch. Sie verlangen vor allem eine längere Übergangsfrist, um ihre Infrastruktur umbauen zu können. Außerdem sollten die Preise höchstens um 20 Prozent gesenkt werden.

Für die europäischen Zuckerrübenbauern sieht die Kommission zwar ebenfalls eine Entschädigung vor, aber auch die Europäer fordern mehr Geld – oder aber eine geringere Preissenkung. Jeder Rübenanbauer würde durch die EU-Pläne jährlich rund 6.500 Euro einbüßen, schätzt die Internationale Vereinigung der europäischen Rübenbauern. „80 Zuckerfabriken und über 150.000 Arbeitsplätze würden zerstört“, sagt der Präsident der Vereinigung, Otto von Arnold. Deshalb machen die europäischen Zuckerrübenbauern mobil. Gestern demonstrierten bereits tausende in Deutschland. Am Montag wollen sie nach Brüssel kommen.

Die einzigen Nutznießer der Reform wären die Großbauern in Brasilien, die sich mit ihren riesigen Anbauflächen relativ problemlos an die neuen Preise anpassen könnten. „Um den Umsatz zu vergrößern, müssen die Anbauflächen aber erweitert werden, was automatisch die Rodung von Regenwald zur Folge hätte“, sagt der Grünen-Abgeordnete im EU-Parlament, Frithjof Schmidt. Der Zuckermarkt in Brasilien wird von fünf Familien kontrolliert. Bauern mit kleineren Flächen haben auch dort keine Chance.

Unterstützung bekommen die besorgten Bauern mittlerweile aus dem EU-Parlament; in jeder Fraktion finden sich Kritiker der Zuckerpläne. Auch einige Regierungen sind dagegen, darunter Frankreich und Belgien. Am Montag werden die 25 EU-Landwirtschaftsminister über den Vorschlag der Kommission beraten. Die europäischen Zuckerrübenbauern haben bereits eine gemeinsame Demonstration mit Vertretern aus den Entwicklungsländern angekündigt. Sie erwarten über 5.000 Teilnehmer.