: Jemand fällt vom Brett
Riesenpolizeimeldung aus Kretschmann-Country
Sturmfoto: dpa
Ein ganz normaler Sonntag im Heimtunnel der Wahrheit-Redaktion. Draußen stürmt und schauert es. Die Agenturticker rattern gelangweilt vor sich hin. Die Nachrichtenlage ist mau. Plötzlich heult die Bürosirene ohrenbetäubend auf und das über dem Computerbildschirm installierte rote Blitzlicht zuckt energisch – ein sicheres Zeichen für eine Riesenpolizeimeldung von einem weit entfernten, einsamen Posten draußen in der gerade noch bekannten Welt.
Eine dramatische Polizeimeldung aus dem „PP Ravensburg“, ein wichtiges Polizeipräsidium in Baden-Württemberg: Demnach waren bei einem „POL-Einsatz“ am Samstag „neben einem Rettungshubschrauber die Feuerwehren Langenargen, Kressbronn und Friedrichshafen mit 50 Einsatzkräften und mehreren Booten im Einsatz. Weiterhin waren vier Boote der DLRG und der Wasserwacht mit ca. 20 Einsatzkräften alarmiert worden.“
Und warum? Weil „am Samstagnachmittag gegen 14.48 Uhr“ ein Notruf im PP Ravensburg einging: Auf dem Bodensee ist ein Surfer vom Brett gefallen! Ach, wirklich?! Ist der Surfer ganz allein vom Brett gefallen? Und passiert das auf dem Bodensee nicht täglich zigmal? Und ist der Surfer nicht danach auf seinem Surfbrett an den Strand gepaddelt, wo „ein Großaufgebot an Rettungskräften den 29-jährigen Surfer unverletzt am Strand“ antraf? War der ganz Aufwand dann also im buchstäblichen Sinn ein Reinfall? Muss man den „vermeintlichen Seenotfall“ dann überhaupt in die Welt hinausposaunen?
Auf jeden Fall! Aus einem gesamtgesellschaftlichen Grund. Wir sind schließlich in Baden-Württemberg, in Kretschmann-Country. Hier sprechen die Menschen zwar kein Hochdeutsch, aber sie kümmern sich wenigstens noch umeinander. Und wenn ein Surfer vom Brett fällt, dann könnte es ja einen Grünen-Wähler weniger geben.
Nicht nur die Einsatzkräfte, sondern alle gesellschaftlich interessierten Kräfte sollten den Fall deshalb als lohnenswerte Übung sehen – mindestens für die Bundestagswahl im Herbst. Wir lassen niemanden hinten hinüberfallen. Dafür gibt es die soziale Kontrolle der Surfzuschauer am Ufer und der Beamten in ihren Behördenhöhlen. Danke für diese wertvolle Symbolgeschichte, PP Ravensburg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
