berliner szenen: Fähnchen des Anstoßes
Nein, sie hingen nicht lang von unseren Balkonen, die selbst gebastelten, extrem schicken Fähnchen, mit denen wir die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ begrüßten. Es waren lediglich in deren Farben Gelb und Lila gehaltene Stoffbanner, ganz ohne irgendeinen Schriftzug. Aber nur ein paar Tage nachdem sie erstmalig so stolz im Wind wehten, hatten wir schon persönlich adressierte Anschreiben unserer Hausverwaltung im Briefkasten liegen. „Wir fordern Sie auf, alle Fahnen umgehend zu entfernen“, hieß es in diesen, „das Recht zur Gestaltung der Fassade und die Anbringung von Sachen außerhalb der Wohnungen steht ausschließlich dem Vermieter zu.“ Schadenersatzansprüche könnten geltend gemacht werden.
Unsere Hausverwaltung vertritt die Londoner Immobilienfirma Pears Global, die es geschafft hat, inkognito über Dutzende Briefkastenfirmen mit Sitz in Luxemburg halb Berlin aufzukaufen, ohne dass das lange Zeit groß bemerkt worden wäre. Unser Haus gehört mit zur Beute. Käme es zu den Enteignungen, die Deutsche Wohnen & Co. anstrebt, wäre die Pears Global, die mehr als 3.000 Immobilien in Berlin besitzt, davon betroffen. Vorausgesetzt natürlich, dass sie mit ihrem Trick, Scheinfirmen zu erfinden, nicht durchkommt.
Mietrechtsanwälte haben uns geraten: Hängt die Fahnen lieber wieder ab und provoziert eure Eigentümer nicht. Zuerst haben wir das wie eine Niederlage empfunden. Die können uns wirklich verbieten, ein paar bunte Fähnchen aufzuhängen? Inzwischen sehen wir die Sache aber ein wenig positiver. Wir haben unseren Protest formuliert, und die Gegenseite hat ziemlich empfindlich darauf reagiert und sich vielleicht sogar ein bisschen verwundbar gezeigt. Und als Hausgemeinschaft sind wir näher zusammengerückt.
Andreas Hartmann
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