: Aus der Schusslinie
GEFÄHRLICHE ARBEIT In ihrer Heimat Mexiko-Stadt konnte die Journalistin Ana Lilia Pérez ohne Bodyguards nicht mehr vor die Tür. Jetzt ist sie für ein Jahr in Hamburg
Mexiko wird zu den gefährlichsten Ländern für ReporterInnen und JournalistInnen gezählt.
■ Seit dem Jahr 2000 haben staatliche Stellen 83 ermordete MedienvertreterInnen registriert – Dunkelziffer unbekannt.
■ Als besonders brisant gelten Recherchen im Umfeld der Drogenkartelle und der öffentlichen Korruption – Ana Lilia Pérez, die sich nun in Hamburg aufhält, ist in beiden Bereichen aktiv geworden.
VON KNUT HENKEL
Ana Lilia Pérez neuestes Buch „Blaue Hemden, schwarze Hände“ liegt neben der Tastatur des Computers in ihrer neuen Wohnung im Schanzenviertel. Den Rechner, ihre Verbindung nach Hause, schaltet sie nur selten aus. Nicht nur, weil sie mitbekommen will, wer in der neuen Regierung in Mexiko-Stadt welche Position übernimmt, sondern auch, weil sie immer noch Nachfragen zu ihrem Buch beantworten muss – sie kommen von Kollegen, Abgeordneten und Ermittlungsbeamten.
In „Blaue Hemden, schwarze Hände“ deckte die Journalistin die engen Verbindungen zwischen der ehemaligen Regierungspartei PAN (Partido Acción Nacional) und dem wichtigsten Unternehmen des Landes, der halbstaatlichen Petróleos Mexicanos (Pemex) auf. Es geht um Unregelmäßigkeiten, Korruption und Bestechung. Pérez hat Dokumente eingescannt, Aussagen abgedruckt und in minutiöser Kleinarbeit über Jahre zusammengesammelt, was in Mexiko viele geahnt haben, aber nie jemand beweisen konnte. Sie lieferte die Beweise.
Im November 2011 wurde ihr Buch veröffentlicht und seitdem hat die 35-Jährige unzählige Morddrohungen erhalten. „Ohne Bodyguards konnte ich mich nicht mehr bewegen“, sagt Pérez. „An Arbeit außerhalb der Redaktion war nicht mehr zu denken“, sagt sie. Am Ende konnte sie kaum noch vor die Tür gehen.
Es war nicht das erste Mal, dass ihre Arbeit für Wirbel sorgte. Vor zehn Jahren begann sie beim politischen Magazin Contralínea, was übersetzt so viel wie „gegen den Strich“ bedeutet. Sie berichtete über den halbstaatlichen Energiesektor Mexikos und das dort herrschende Geflecht aus Politik, Gewerkschaften und Drogenkartellen. Immer wieder wurde sie bedroht. Sie muss weder auf Kinder noch auf einen Mann Rücksicht nehmen, das erleichtert ihre Arbeit. Unterstützung bekommt sie von ihrer Familie, die sie im intellektuellen Spektrum der mexikanischen Hauptstadt verortet. Mehr will sie nicht preisgeben. „Zu riskant“, sagt Pérez. Dieses Mal sind die Morddrohungen aber so massiv wie nie.
Dass ihr genau in dieser Situation von der „Hamburger Stiftung für politische Verfolgte“ ein Stipendium angeboten wurde, war ein Glücksfall. „So hatte ich die Wahl, konnte eine Entscheidung treffen und nun bin ich hier“, sagt Pérez. Die Stiftung vergibt jedes Jahr eine Handvoll dieser Stipendien an Menschen wie Pérez, um Journalisten und Menschenrechtsaktivisten nach Hamburg und damit aus der Schusslinie zu holen.
Seit Ende Juni ist Pérez jetzt hier – ihre neue Wohnung auf Zeit wirkt aber noch sehr unpersönlich. Sie hat einfach noch keine Zeit gefunden, um sich einzurichten. Gleich nach ihrer Ankunft ging es weiter zur Pressekonferenz von Reporter ohne Grenzen nach Berlin. Von dort reiste sie sofort nach München, wo sie eine Ausstellung über die Menschen eröffnete, die von Mittelamerika durch Mexiko in Richtung USA fliehen. Mit diesen Flüchtlingen und ihrem riskanten Weg hat sie sich früher schon beschäftigt, bekam für ihre Arbeit einen Recherche-Preis des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen.
Jetzt genießt sie es, endlich wieder ruhig schlafen zu können. In Mexiko war das kaum mehr möglich, weil die Personenschützer immer um sie herum waren. An Privatsphäre war nicht zu denken. Die Zeit in Hamburg will sie nutzen, um darüber nachzudenken, was sie mit ihrem Buch losgetreten hat. In dem Jahr wird zumindest der Trubel um ihr Buch in Mexiko etwas nachlassen, so ihre Hoffnung. Trotz des Untersuchungsausschusses, der jetzt eingesetzt wurde.
Eins weiß sie aber jetzt schon: „Ich möchte meine Arbeit fortsetzen. Das ist es, was mir Spaß macht – was mich erfüllt.“