Wie wir wohnen wollen werden

Die Ausstellung „Together!“ skizziert im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe kollektive Wohnformen. Für die Klassenfrage bleibt sie indes eigentümlich blind

Das Moriyama House: muckelig zusammen im Gemeinschafts-Wohnzimmerschaufenster Foto: Dean Kaufman/MKG

Von Falk Schreiber

In Hamburg darf man ja angeblich nicht mehr im Einfamilienhaus wohnen. Zumindest behaupten CDU, AfD und FDP, dass die Grünen so etwas in der Hansestadt fördern würden. Tatsächlich ist es so, dass die regierenden Grünen im Bezirk Hamburg-Nord in Zukunft keine neuen Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser mehr erteilen werden, weil Einfamilienhäuser eine ökologische Katastrophe seien, was dann doch ein wenig anders klingt. Der Verbots­partei-Diskurs ist hier gar nicht das Thema, er macht aber klar: Wohnen ist politisch. Und Antworten auf die Frage „Wie wollen wir wohnen?“ sehen von rechts anders aus als von links: individuell gegen kollektiv, grob gesagt.

Die Ausstellung „Together! Die neue Architektur der Gemeinschaft“, ursprünglich von Ilka und Andreas Ruby fürs Berliner Vitra-Design-Museum kuratiert und mit einem umfangreichen Hamburg-Teil jetzt ins Museum für Kunst und Gewerbe gewandert, stellt sich da verhältnismäßig klar auf die linke Seite: Dargestellt wird, wie gemeinschaftliches Wohnen im 21. Jahrhundert aussehen kann. Und zwar zunächst mit einem Blick in die Vergangenheit. Ein hübsch gestalteter Rundgang skizziert, wie sich kollektive Wohnformen entwickelten, die schottische Arbeitersiedlung New Lanark um 1800, Charles Fouriers utopische Gemeinschaftsarchitektur Phalanstère (1820) zwischen Wohnen, Arbeit und freier Liebe. Es folgen frühe genossenschaftliche Projekte wie das Hamburger Arbeiterschloss der Deutschen Schiffszimmerergenossenschaft (1900), die utopische Künstlerkolonie des Monte ­Verità (1900), den frühen ­Kibbuz Degania (1910), schließlich ikonographische Projekte wie Le Corbusiers Unité d’Habitation in Marseille (1947–52) und Oscar Niemeyers Edifício Copan in São Paulo (1952–66).

Interessant ist der sinnliche Zugang, der beim Durchwandern der Modelle entsteht

Typisch für solch einen historischen Einstieg: Hier werden Dinge miteinander verbunden, bei denen gar nicht klar wird, ob sie etwas miteinander zu tun haben. An manchen Stellen geht es um einen architektonischen Zugriff, an anderen um einen stadtsoziologischen, und zwischendrin steht ein Abschnitt über die Berliner Kommune 1, die zwar auch aus Leuten bestand, die irgendwie miteinander wohnten, die allerdings inhaltlich ohne Bezug zu beispielsweise Le Corbusiers architekturpraktischen Überlegungen steht. Auf der anderen Seite werden geplante Stadtentwicklungsprojekte neben Hausbesetzungen und organisch wuchernde Städte gestellt. Nicht falsch verstehen: Solche Ergebnisse lassen sich durchaus miteinander vergleichen, nur bedarf das dann einer intellektuellen Anstrengung, die die kurzen Bild-Text-Kombinationen nicht geben können.

Was noch ein drittes Problem der Präsentation aufzeigt: Man hat es hier mit Schlaglichtern zu tun, die Entwicklung der einzelnen Projekte über die Jahrzehnte bleibt unbeleuchtet. Dabei wäre gerade die spannend: Mag ja sein, dass sich im Torre de David, einem halbfertigen Wolkenkratzer im venezolanischen Caracas, nach einer Hausbesetzung 2007 zunächst eigene Wohn- und Arbeitsstrukturen entwickeln konnten. Allerdings wurde das Gebäude 2014 wegen katastrophaler hygienischer Bedingungen geräumt. Mag ja sein, dass die New Yorker Co-op City als größter genossenschaftlicher Baukomplex der Welt einen Superlativ darstellt. Aber dass die Wohnungen der Co-op City heute primär für die obere Mittelschicht bezahlbar sind, fällt unter den Tisch.

In einem zweiten Raum weist „Together!“ in die Zukunft. Eine Art Stadtmodell stellt eine „Stadt als öffentliches Wohnzimmer“ in 21. real existierenden Projekten zusammen, darunter die Vrij­bucht Amsterdam, das Moriyama House Tokio und die Kalkbreite Zürich. Interessant ist hier der sinnliche Zugang, der beim Durchwandern der Hausmodelle entsteht, man entdeckt als Besucher quasi selbst den öffentlichen, halböffentlichen und gemeinschaftlichen Raum für sich. Einzig die Tatsache, dass die angedeuteten Figuren zwischen den Gebäuden nicht wirklich die Diversität der Großstadt abbilden, zeigt, dass der gesamte Diskurs ganz bestimmte Adres­sa­t*in­nen hat: Kopftuch beispielsweise tragen die keines.

In der Sargfabrik wohnen? Okay, aber nur, sofern es ein Schwimmbad im Keller gibt Foto: Helga Hurnaus

Auch das wie in einem Möbelhaus präsentierte Modell der Clusterwohnungen, im Grunde eine Mischform aus WG und individuellen Appartements, ist etwas, das mehr für eine urbane Mittelschicht passend scheint als für die große Masse. Eine Vorform solcher Clusterwohnungen findet man im Tokioter Nakagin Capsule Tower, der in der Ausstellung ebenfalls erwähnt wird – in diesem 1972 erbauten Gebäude befinden sich heute zwar Wohnungen zu für das Zentrum Tokios bezahlbaren Preisen, die Wartelisten sind allerdings lang. In der „Together!“-Musterwohnung derweil steht Tobias Morawskis „Reclaim Your City“ neben David Harveys „Rebellische Städte“ im Fake-Bücherregal. Auch wenn die Forderung nach kollektivem Wohnen eine grundsätzlich linke ist, mit egalitären Prinzipien hat dieses Konzept wenig zu tun. Anders gesagt: Dass eine Ausstellung, die ein Verständnis für linke Fragen behauptet und mit großformatigen Fotos der Zürcher Jugendunruhen ab 1980 auch einen Zug ins Revolutionsromantische zeigt, gar keinen Begriff von Klassenunterschieden hat, überrascht dann doch.

Der für die Ausstellungsstation im Museum für Kunst und Gewerbe hinzugefügte Hamburg-Teil immerhin denkt die Stadt ein Stück weit konkreter. Vorgestellt werden Genossenschaftssiedlungen aus den Jahren 1950 bis 1970, und wie diese Baukomplexe in Richtung eines kollektiven Wohnens umgebaut, saniert, weiterentwickelt werden können. Eher mittelcoole Wohnlagen tauchen da auf, Alsterdorf, Osdorf, Bergedorf-West, Regionen, die auch nach einer Sanierung nichts von der urbanen Weltläufigkeit des Nakagin Capsule Tower haben werden. Aber an denen ließe sich vielleicht tatsächlich etwas zeigen. Bei den klug gesetzten Visualisierungen dieser Abschnitte sieht man den Spießer neben der Hipsterin, Alte neben Jungen, Menschen, bei denen man davon ausgehen kann, dass sie wohl tatsächlich in den beschriebenen Siedlungen leben. Und vielleicht scheint hier auf, um was es bei aller Theorie zum kollektiven Wohnen in Wahrheit geht: um Menschen.

„Together! Die neue Architektur der Gemeinschaft“: bis 5. 4., Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, aktuell nicht zugänglich, Videorundgänge und Zoom-Einführungen auf www.mkg-hamburg.de