: Eine verdächtig schnelle Griechin
Bei der U 23-Europameisterschaft der Leichtathleten in Erfurt läuft eine gewisse Maria Karastamáti urplötzlicheine Weltklassezeit über 100 Meter. Die Deutschen Sportfunktionäre freuen sich über eine „Medaillenflut“
ERFURT taz ■ Georgios Panagiotopoulos war praktisch mit dem Handy verwachsen. Anrufer aus Griechenland plapperten auf ihn ein. Kurz nahm der Trainer den Apparat vom Ohr und reichte ihn an seine Athletin, die 100-Meter-Sprinterin Maria Karastamáti. Sie war der Grund des heftigen Funkverkehrs über dem Erfurter Steigerwaldstadion. Karastamáti ist die neue Europameisterin der unter 23-Jährigen. Der Sieg der schnellen Griechin ist nicht weiter spektakulär, ihre Zeit ist es schon. Sie lief 11,03 Sekunden schnell – und verbesserte ihre persönliche Bestleistung gleich mal um 0,24 Sekunden. Die Griechen sind für Wunder dieser Art bekannt. Fani Halkia steigerte sich bei Olympia über 400 Meter Hürden auf 52,77 Sekunden. Sie gewann Gold. Wenige Wochen zuvor hatte sie sich mehr schlecht als recht über die Barrieren gewuchtet; da stand eine Zeit von 56,40 Sekunden für sie zu Buche. Egal, Georgios Panagiotopoulos, zufälligerweise auch Coach und Lebensgefährte von Halkia, macht sie möglich, Steigerungsläufe nach griechischem Rezept, die so genannten Halkiaden.
Panagiotopoulos war so etwas wie der Testläufer von Christos Tsekos, den skandalumwitterten Schnellmacher, der Dopingmittel in der Garage hortete und die Dopingfahnder ein ums andere Mal narrte. Panagiotopoulos, WM-Fünfter im Jahre 1997 über 200 Meter, wurde einst von Tsekos trainiert.
Dass Karastamátis Tempo nicht nur auf Gyros, Üben und eine Windunterstützung von 1,5 Metern pro Sekunde zurückzuführen ist, wurde in Erfurt offen diskutiert. Man gab sich gar nicht erst die Mühe, den Verdacht hinter vorgehaltener Hand zu formulieren. Längst ist klar, dass explosive Leistungssteigerungen nur noch im griechischen und osteuropäischen Raum möglich sind, wo die schnellen Frauen gedeihen, Iwet Lalowa aus Bulgarien etwa, auch noch blutjung. Die brauchte kürzlich in Ostrawa 11,03 Sekunden für 100 Meter. Karastamáti hat den europäischen U23-Rekord über 100 Meter verbessert. Den hielt Renate Stecher (DDR) mit 11,07 Sekunden, erlaufen in der Frühphase des Anabolikadopings im Jahre 1972. Panagiotopoulos erkärte, Karastamáti habe nur 95 Prozent ihres Potenzials ausgeschöpft. Also dürften bald Sprints unter elf Sekunden zu erwarten sein, vielleicht schon bei den WM in Helsinki.
Dorthin wird auch der deutsche Diskuswerfer Robert Harting reisen. Er schleuderte die Scheibe auf Siegweite. Die Schwerathleten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) gewannen gleich dreimal Gold. Auch im Kugelstoßen und Speerwerfen der Frauen waren heimische Sportler vorn, Petra Lammert und Annika Suthe. Der Vorgabe von zwanzig Medaillen näherten sich die DLV-Athleten schon am Samstag. Sechzehn Plaketten ließen den Verband von einer „Medaillenflut“ sprechen. Hinter der dominierenden russischen Mannschaft habe man sich behaupten können, hieß es. DLV-Leistungssportchef Eike Emrich hatte darüber hinaus im ehemaligen Georgi-Dimitroff-Stadion „einen neuen Athletentypus“ ausgemacht. „Ich sehe Sportler, die selbstbewusst und selbstreflexiv auftreten, die eine innere Einstellung haben.“ Die sei das Ergebnis der „Arbeit an Qualitätsmanagement-Prozessen“ – wie Sportsoziologe Emrich abstrakt erläuterte. Soll heißen: Der Verband will jedem Talent jene Bedingungen ermöglichen, die für Erfolge nötig sind. „Hoch individualisiert“ müsse es zugehen, ergänzte Bundestrainer Jürgen Mallow. Das sklavische Festhalten an Normen müsse ein Ende haben, denn das könne „Organisationen zerstören“, so Prof. Emrich. Diskuswerfer Harting war das alles zu abgehoben. „Wenn man Erfolg hat“, sagte er, „dann glauben viele, sie hätten einen Anteil daran.“
MARKUS VÖLKER