berliner szenen: Das reicht vielleicht nicht
Ich bin mal wieder am Schlachtensee zum Spazierengehen, weil es so praktisch ist. Man steigt in die S-Bahn und kann zwei Seen umrunden oder im Wald spazieren gehen. Dazu sehe ich mal etwas anderes als immer nur die selben Straßen auf meinen Spaziergängen.
Am See steht einer und malt auf einer großen Leinwand. Er nutzt zum Malen nur seine Hände in Gummihandschuhen und ich sehe fasziniert zu. Die Farbe ist dick aufgetragen. An einigen Stellen so pastos, dass sie wie ein Relief mehrere Zentimeter hoch ragt. Andere Leute bleiben ebenfalls stehen. Manche verhalten sich wie in einer Ausstellung. Sie legen eine Hand an die Wange, schauen abwechselnd auf das Panorama und wieder auf das Bild, gehen sehr nah heran und inspizieren die Maltechnik. Von Nahem mischen die Farben alles in ein Chaos, von viel weiter hinten finde ich den See und das Ufer, die Bäume, die im Nachmittagslicht Schatten werfen, und ich frage mich, wie der Künstler seine Umgebung sieht, um von Nahem malen zu können, als stünde er weit weg. Eine Frau mit einem Stirnband sieht sich die Leinwand von der Seite an und sagt: „Interessant.“ Der Künstler reagiert nicht.
Eine Frau mit einem Mädchen an der Hand tritt heran. „Wir wollten mal fragen, was das Bild kostet. Meine Tochter würde es gern von ihrem Taschengeld kaufen.“Der Künstler dreht sich langsam um, mustert die beiden und sagt todernst: „Das reicht vielleicht nicht. Es kostet 8.000 Euro.“
„Siehst du“, sagt die Mutter zu ihrer Tochter, „das ist wirklich zu viel für dein Taschengeld.“
„So viel Geld“, sagt das Mädchen im Gehen enttäuscht und die Mutter antwortet: „Na ja, da ist eben auch ganz schön viel Farbe drauf. Das muss man ja wieder reinholen. Von nichts kommt eben nichts.“
Isobel Markus
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