: „Evans fliegt nicht“
TOUR DE FRANCE Cadel Evans, ehemaliger Toursieger, fällt zurück und wird zum Steigbügelhalter des ambitionierten Nachwuchses
TEAMCHEF ROBERTO AMADIO
VON TOM MUSTROPH
Die gelben Träume werden weiß bei BMC. Statt des gelben Trikots für Cadel Evans ist jetzt das weiße Textil für den Nachwuchs das Hauptziel des US-Schweizer Rennstalls. Das ist ein zwar herber, aber auch realistischer Kurswechsel. Denn der Titelverteidiger zeigte sich bislang unter Form. „Evans fliegt nicht gerade“, beobachtete Felice Gimondi, der Toursieger von 1965. Er besuchte am Ruhetag die Tour de France. Die ist für ihn bereits entschieden. „Sky wird sich das nicht mehr nehmen lassen. Froome und Wiggins sind zu stark. Sie werden sich auch diszipliniert an die Teamtaktik halten“, meinte er. Seinem Landsmann Nibali traut der alte Heros – der als einer von nur vier Fahrern alle drei großen Rundfahrten gewann – nur noch etwas zu, wenn der am heutigen Mittwoch mindestens schon am vorletzten Berg, dem Col d’Aspin, erfolgreich attackiert. Cadel Evans hat er völlig abgeschrieben.
Das ist nicht verwunderlich. Zwar startete der Australier voller Optimismus in Lüttich. „Diese Tour wird leichter, denn ich weiß ja schon, wie man eine Tour de France gewinnt. Ich muss sie nur noch fahren“, hatte er seinem Teameigner Andy Rihs anvertraut. Doch diese Prognose ist überholt. Die ganze anstrengende Realität des Wettbewerbs auf Frankreichs Straßen stellt sich der Sieg-Erfahrung des Australiers als unüberwindliches Hindernis entgegen.
Zwar will noch niemand der Konkurrenten so weit gehen wie Gimondi. „Cadel ist ein zäher Bursche. Der gibt niemals auf“, meint etwa Bradley Wiggins. „Er hat eine große Widerstandsfähigkeit und ein immenses Kämpferherz“, attestiert ihm Lotto-Teamchef Marc Sergeant, der Evans selbst ein paar Jahre betreute.
Auch Roberto Amadio, Teamchef vom derzeitigen Dritten Vincenzo Nibali, blickt zumindest aus den Augenwinkeln noch nach hinten. „Wir kämpfen hier um gelb. Wir fahren unser eigenes Rennen und müssen vor allem Sky angreifen. Wir dürfen Evans aber niemals unterschätzen“, sagte er der taz.
Doch Evans hat sich vom Helden 2011 zur traurigen Gestalt des Jahres 2012 entwickelt. Lediglich die erste Tourwoche fuhr er dank der Unterstützung seiner Mannschaft überzeugend. Doch schon beim Zeitfahren in Besançon zerstoben seine Hoffnungen. Knapp zwei Minuten verlor er dort auf Bradley Wiggins. „Das wird ganz knapp. Und mit knapp meine ich deutlich weniger als eine Minute Rückstand“, hatte BMC-Chef Jim Ochowicz vor diesem Zeitfahren verkündet. Danach kehrte Kleinmütigkeit im schwarz-roten Lager ein. Mit zwei Attacken versuchte Evans sich und den Seinen zwar Mut zu machen. Doch bei seinem Angriff am Croix de Fer letzten Donnerstag verbrauchte er so viel Kraft, dass er im Finale den Konkurrenzkampf nicht halten konnte.
Als Ersten ereilte Evans das Pech, in einen der ausgestreuten Teppichnägel an der Mur de Peguere am Sonntag zu fahren. Offensichtlich verlor er dabei so sehr die Rennübersicht, dass er nicht bemerkte, dass es vielen anderen auch so ging. Er nahm den Angriff persönlich und vermutete eine „spanische Verschwörung“.
Das Einzige, was bei BMC derzeit gut läuft, ist das Rennen ums weiße Trikot des besten Jungprofis. Tejay Van Garderen setzte es zwar mehrfach aufs Spiel, als er auf seinen schwächelnden Kapitän wartete. Dennoch häufen sich die weißen Löwen, die für den besten der Jungen ausgegeben werden, im Teambus von BMC. Die Plüschsammlung sorgt denn auch für einen Prioritätenwechsel. Zwar sagt Van Garderen noch höflich: „Unser erstes Ziel ist es, Cadel so weit wie möglich nach vorn zu bringen“. Worum es eigentlich geht, besagt aber schon der zweite Satz: „Zwar ist er sehr beschäftigt mit seinen eigenen Zielen, aber er ist auch gewillt, mir zu helfen.“
So wird der letzte Toursieger zum Steigbügelhalter einer Nachwuchshoffnung. „Cadel weiß, dass er nicht mehr ganz jung ist. Er kann in mir jemanden sehen, der ihm nachfolgt“, meinte der Youngster. Klarer kann man eine Wachablösung kaum beschreiben.