: Schatten auf der Leinwand
HERIDONISMUS Der indonesische Künstler Heri Dono macht Puppen- und Schattentheater. Seines neues Stück „Tsunami“, das heute Abend im Lustgarten aufgeführt wird, ist ein Spiel mit Mythen und stellt unbequeme Fragen
VON CHRISTINA FELSCHEN
Im bläulichen Licht des Videobeamers hockt Heri Dono, die langen dunklen Haare auf dem Kopf verknotet. Er streckt zwei Stabpuppen in die Höhe und beugt sich dabei zu seinem Manuskript hinunter, akrobatisch und lässig zugleich. Junge Augen blinzeln durch eine dicke Silberbrille; Dono, Jahrgang 1960, ist alterslos – ein kindlicher Weiser oder ein weises Kind. Im Probenraum des Ethnologischen Museums hat er ein Dutzend armhoher Stabpuppen um sich herum drapiert, in einer nur ihm bekannten Ordnung: ein Wirrwarr aus bunter Pappe, gefletschten Zähnen und Augenpaaren. Doch auf der Leinwand entsteht daraus eine wundersame Welt.
Überall und nirgends
Seit 32 Jahren experimentiert der indonesische Multimediakünstler mit Licht und Schatten, und oft mit politischen Zwischentönen – als Teenager am Strand von Yogyakarta, später auf den größten Kunstbiennalen der Welt. Dono scheint immer zehn Handgriffe gleichzeitig zu tun und an zehn Orten zugleich zu sein: Gerade noch war er in Australien zu sehen; heute Abend zeigt er im Rahmen der Ausstellung „Anders zur Welt kommen“ im Berliner Lustgarten sein „Tsunami“-Märchen.
Darin überträgt er den Mythos vom Kampf des Helden Bima mit der Riesenschlange aus dem indischen Mahabharata-Epos auf das verheerende Seebeben in Südostasien im Dezember 2004, bei dem weit über 200.000 Menschen starben. Dabei lässt sich Dono nicht auf die simple Lösung ein, die der Mythos vorschlägt: Dieser gibt ganz einfach dem „Ungeheuer“, diesem diffusen Bösen, die Schuld an der Naturkatastrophe. Zwar zitieren auch Donos Pappfiguren noch ein solch manichäisches Weltbild – der Held feingliedrig und mandeläugig, die Riesenschlange ein wulstiger Kinderschreck –, doch die Charaktere konterkarieren die Erwartungen.
Als Hüterin des heiligen Wassers erfüllt die Schlange eine edle Aufgabe; der Held in seiner Hybris dagegen zerstört das natürliche Gleichgewicht und provoziert die Katastrophe. Zu den disharmonischen, blechernen Klängen eines Gamelan-Orchesters schwillt Donos Stimme bedrohlich an, archaische Kultgesänge strömen aus seiner Kehle. Aus dem Puppenspieler Heri Dono wird ein Priester, aus dem Schattentheater das animistische Ritual, aus dem es einst hervorgegangen ist.
Mit Heri Donos geteilter Bühne ist es wie mit Platons Höhlengleichnis: Für die Zuschauer vor der Leinwand ist die zweidimensionale Illusion perfekt; erst wer den Schirm umrundet, erkennt Donos raumgreifendes Spiel zwischen Beamer, Wand, Projektor und Instrumenten. Auf dem Overheadprojektor liegen kleine, starre Figuren mit offenen Mündern, die Opfer des Tsunamis; vorn auf der Leinwand erscheinen sie riesengroß vor einem Meeresgrund aus Aquarellfarben.
Bühne des Lebens
Die Leinwand trennt hier nicht das „offizielle“ Bühnengeschehen vom „privaten“ Reich des Schauspielers. Der Verfremdungsgestus des epischen Theaters liegt Heri Dono fern, denn bei ihm gibt es keine Fassade, die es zu durchbrechen gilt. Auch auf der Leinwand ist sein Schatten immer schon zu sehen. Dono macht sich gar nicht erst die Mühe sich wegzuducken; seine Silhouette, die des Erzählers, des Priesters, ist Teil der Szene. Stattdessen zeigen die beiden Seiten der Bühne historische Varianten desselben Spiels: hinten das animistische Ritual mit farbenfrohen Stabpuppen, vorn das Schattentheater, das erst mit der muslimischen Herrschaft in Indonesien entstand. Weil der Islam die menschliche Darstellung von Göttern verbietet, verbarg man die Puppen kurzerhand hinter einem Tuch, so dass nur noch ihre Schatten zu sehen waren, die „Wayang“.
Auf der Leinwand flackern Fernsehbilder zwischen den Schatten der Leichen hindurch: Mal zeigen sie eine Erdölfirma auf Java, die 2006 einen Vulkanausbruch auslöste, mal Exdiktator Suharto bei seiner Amtsenthebung. Sie sind Bima-Figuren der Neuzeit, scheint Dono sagen zu wollen; auch sie haben Menschenleben auf dem Gewissen. In grotesker Zuspitzung saust eine Superman-Figur über das apokalyptische Treiben – ein Weltenretter als willenloses Geschoss.
„Heridonismus“ taufte die indonesische Presse begeistert diesen Hybridstil aus Schattentheater, Video- und Objektkunst, aus Mythos und Moderne, Kunst und Kritik. Während der Suharto-Diktatur versuchte Dono der Zensur zu entgehen, indem er Regimekritik hinter Mythen verbarg – nicht immer mit Erfolg: Für sein Werk „Playing Chess“, in dem er die indonesische Politelite als Schachfiguren darstellte, wurde er 1994 auf einer Ausstellung in London prompt in der indonesischen Botschaft festgenommen und zur Ausreise gezwungen. Von seinen Pappkameraden ähnelt Heri Dono einem am meisten: dem Hofnarren oder „Punakawan“, der einen festen Platz in der indonesischen Mythologie hat. Denn auch nach dem Ende des Suharto-Regimes ist Dono ein unbequemer Kritiker für die Mächtigen der Welt geblieben – und ein satirischer Alleinunterhalter für alle anderen.
Heri Dono: „Tsunami“. Heute um 20.15 Uhr im Lustgarten des Alten Museums, Eintritt frei