: Philosophin im Seniorenheim
SOFT SKILLS An der Universität Oldenburg können Studierende ehrenamtliche Arbeit auf ihr Studium anrechnen lassen. Und so ganz nebenbei schauen, ob ein sozialer Beruf der geeignete wäre. Die Hochschule bietet 30 Plätze an, auf die sich kaum Männer bewerben
Die Eine betreut Menschen mit Demenz im Seniorenheim. Die Andere spricht mit Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt. Eine Dritte hilft im Tierheim, wo es gerade nötig ist: Das sind drei von insgesamt rund 20 jungen Leuten an der Universität Oldenburg, die neben ihrem Studium ehrenamtlich arbeiten – und für ihr soziales Engagement belohnt werden.
In dem laut Universität bundesweit einmaligen Studienmodul „Service Learning“ können Oldenburger Studierende aller Fachrichtungen in ihrer Freizeit kostenlos ein Semester bei einem von 30 Projektpartnern mitarbeiten. Der Lohn: Sechs Credit Points fürs Studium. „Wir wollen den Blick über den Tellerrand des Studiums sowie die ehrenamtliche Betätigung fördern und dabei soziale und persönliche Kompetenzen vermitteln“, sagt Michael Viertel. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Pädagogik.
Alessa Speldrich studiert im vierten Semester Wirtschaftswissenschaften und will später ins Personalmanagement. Die 22-Jährige hilft zurzeit einmal pro Woche in einem Hort bei der Hausaufgabenbetreuung. Dort kümmert sie sich um Schulanfänger, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. „Ob ich ihnen wirklich helfen kann, ist schwer zu sagen. Meine 40 Stunden gehen schnell vorbei“, sagt Speldrich. Vor ihrem ersten Termin im Hort war sie etwas nervös. „Ich hatte Angst, von den Kindern nicht angenommen zu werden.“ Es sei dann ganz anders gelaufen, sagt sie. „Die Kleinen sind sehr nett und freuen sich auf mich.“
Die Pädagogikstudentin Myrke Sierach wiederum gestaltet für 20 Ganztagsschüler der Klassen 5 bis 9 das Nachmittags-Freizeitprogramm. Für sie bietet das Ehrenamt eine Chance, ihren Berufswunsch zu überprüfen: „Endlich kann ich mal was Praktisches machen“, sagt sie. Das komme im Studium viel zu kurz. Und die Arbeit gefällt ihr. „Vielleicht ist die Schulsozialarbeit etwas für mich.“ Sie freut sich über den Erfahrungsaustausch unter Leitung von Uni-Dozenten, der zum Modul gehört. Ebenso müssen die Teilnehmer ein Lerntagebuch führen, ihre eigenen Erfahrungen präsentieren und einen Abschlussbericht schreiben: „Die Reflexion ist so intensiv, wie ich es in keinen anderen Seminaren erlebe“, sagt Sierach.
Auf Tafeln haben die Teilnehmer des Zwischenworkshops Stichwörter wie „Wenig Hilfestellung, Zeitmanagement, Praktikanten-Status“ notiert – Probleme, mit denen viele auch nach ihrem Studium zu tun haben dürften. „Wie fordere ich im Seniorenheim wichtige Informationen von Mitarbeitern ein, die so viel zu tun haben, dass sie sich selten um mich kümmern können?“, fragt Stephanie Lamping in die Runde. Perfekte Lösungen gibt es nicht, aber Tipps und Anregungen. Lamping, die im achten Semester Französisch und Philosophie studiert, bringt ihr Fazit so auf den Punkt: „Im Studium gibt es ständig Kritik oder gar keine Rückmeldungen. Im Seniorenheim werde ich dagegen oft für meinen Einsatz gelobt.“
Im vergangenen Wintersemester, als das Modul erstmals angeboten wurde, hatten sich 60 Studierende auf 30 Plätze beworben. Im jetzt zu Ende gehenden Semester war das Interesse geringer, aber alle offenen Plätze wurden besetzt.
Allerdings machen nur zwei männliche Studenten mit. „Wenn ich Kommilitonen davon erzähle, dann finden sie das Modell gut“, sagt Lamping. Aber Männer ließen eher durchblicken, dass sie für ihre Arbeit eine finanzielle Gegenleistung erwarteten. Dennoch: Viele der Teilnehmer sind auf den Geschmack gekommen und wollen sich künftig weiter ehrenamtlich engagieren – auch, wenn sie ihr Engagement dann nicht mehr als Studienleistung anrechnen lassen können. JOACHIM GÖRES