: ACHSE DES DEUTSCHPOP VON THOMAS WINKLERBildungsbürgerwand
Klappern gehört zum Geschäft. Damit es schön laut klappert, wirft die Mediengruppe Telekommander die Rhythmusmaschinen an und sucht die Bruchstellen auf, die sich im Pop bieten. Der Münchner Florian Zwietnig und der Österreicher Gerald Mandl stoßen auch auf ihrem dritten Album „Einer muss in Führung gehen“ genau dahin, wo sich Widersprüche manifestieren, also zwischen Insiderscherz und national relevanter Sinnsuche: Zwar wollen die beiden, die mittlerweile in Berlin leben, „runter von der Gästeliste“, experimentieren aber in „Über alles“ mit der verbotenen dritten Strophe des Deutschlandliedes und wähnen sich dann sofort „umstellt von einer Bildungsbürgerbücherwand“. Die Mediengruppe Telekommander predigt einerseits radikalen Anti-Intellektualismus, den sie selbst dann andererseits nicht befolgen mag. Mit anderen Worten: Sie geleiten ihre Hörer ins „Epizentrum der Entwicklung“, dahin, wo es abgeht. Und das tut es dann auch musikalisch, denn dort setzt sich das Duo endgültig zwischen alle Stühle: Zwar erfüllt ihr bollernder Elektro-Punk durchaus jene Mitgröl-Erfordernisse, wie sie im größten deutschen Bundesland Mallorca jede Nacht gestellt werden, befriedigt mit Störgeräuschen und Detailfreude andererseits aber auch die Bedürfnisse anspruchsvollerer Konsumenten, bummert bisweilen aber auch schlau genug, um in einem Hauptstadtclub die Tanzfläche füllen zu können. Dazu können dann alle im Chor die wieder mal reichlich vorhandenen Parolen grölen. Diesmal im Angebot: „Ich will Dich nicht verstehen“ oder „Runter kommen sie immer“. Eben vor allem eins: Kurz und prägnant, knallig und provokant soll es sein. Diese Mischung macht die Mediengruppe Telekommander zur perfekten Band des Twitter-Zeitalters.
■ Mediengruppe Telekommander, „Einer muss in Führung gehen“
(Staatsakt/ Rough Trade)
Tortenboden
Man mag es naiv finden, aber dass Handwerk goldenen Boden besitzt, daran glauben Ruben Cossani selbst heutzutage noch fest. Also lässt das Trio um Michel van Dyke, der sich zuvor als Produzent von Chartsfutter wie Echt, Fury in the Slaughterhouse oder Patrick Nuo einen Namen gemacht hat, die Rickenbacker-Gitarren sommerlich flirren, ein Cembalo verträumt klimpern und schichtet dazu harmoniesüchtige Bababa-Gesänge übereinander, als wären sie Tortenböden. Musikalisch orientieren sich die drei Hamburger auf ihrem Debütalbum „Alles auf einmal“ also ausschließlich an Größen wie den Beatles, Byrds oder Beach Boys. Auch Serge Gainsbourg wird sogar mit einem eigenen Song geehrt. Doch der sixties-seelige Retrosound endet bei den Texten, die geschickt deutsche Schlagertraditionen von der Peinsamkeit befreien. Da werden zwar Engel besungen, aber so eingängig können die Melodien gar nicht sein, dass man nicht immer wieder hängen bleibt an Zeilen wie „Das Paradies klebt an meiner Hand“, oder „Selbstgespräche sind nicht weiter tragisch“. Bei zwei Stücken fungiert Bernd Begemann als Co-Autor: Mit Ruben Cossani wird wieder einmal versucht, die diskursiven Anstrengungen der Hamburger Schule zumindest in ihren einfachsten Grundsätzen für ein Mainstream-Massenpublikum aufzuarbeiten. Ähnliches hatten Begemann und van Dyke als Songwriter mit Jas- min Wagner alias Blümchen vor. Ihr Vorhaben scheiterte daran, dass Wagner leider nicht singen konnte. In Eigenregie des Handwerkers van Dyke könnte der angestrebte Spagat nun gelingen.
■ Ruben Cosani, „Alles auf einmal“ (105 Music/Sony)
Süßholzraspel
Dass Virginia Jetzt! mittlerweile zu spielen gelernt haben, das kann man auf „Blühende Landschaften“ hören. Endlich kommt dem Quartett, das einst aus dem brandenburgischen Elsterwerda nach Berlin verzog, nicht mehr das eigene technische Unvermögen in die Quere. Geriet ihnen früher manch Song zur unfreiwilligen Indie-Schrammelei, gelingt auf ihrem vierten Album nun schlussendlich doch noch in Vollendung, was sie schon immer angestrebt hatten: Der perfekt austarierte Popsong, stromlinienförmig und ohne aufwendig zu entsorgende Rückstände. Diese Lieder hören sich dank schwelgender Streicher, amtlich vermessener Akustikgitarrenwände und der Einschmeichelstimme von Sänger Nino Skrotzki einfach so weg – und das ohne jeden Widerstand. Dabei wird man auch nicht aufgehalten von der Liebeslyrik, in der das Gegenüber weitgehend unhinterfragt angehimmelt wird und Herzen schlagen, bis der Schlagergott lustvoll aufstöhnt. Ein Augenzwinkern, wie es Virginia Jetzt! früher gern mal einstreuten, ist diesmal selbst beim besten Willen nicht mehr zu entdecken. Aus diesem so schnurrend vorgetragenen wie allgemein kaum auszuhaltenden Süßholzraspeln sticht nur noch ein einziger Song hervor: Mit seinen Breitwandbläsern ist „Dieses Ende wird ein Anfang sein“ eine mächtige und kraftvolle Durchhalteparolen-Hymne im Northern-Soul-Gewand, die Superpunk sicher ein bisschen besser hingekriegt hätten. Doch dieses Stück und die unzweifelhaft vorhandene Könnerschaft im Herstellen von klebrigen Gefühlen lassen einen dann aber zu der Erkenntnis kommen, dass hier größere Mengen Talent an ein allzu zweifelhaftes Vorhaben verschwendet werden.
■ Virginia Jetzt!, „Blühende Landschaften“ (Motor Music/Rough Trade)