: Assad will hart durchgreifen
SYRIEN Das Regime will Damaskus vor Beginn des Ramadans „säubern“. Assads Zustand und Aufenthaltsort unklar
AUSSENMINISTER WESTERWELLE
DAMASKUS/BERLIN rtr/afp/taz | Nach dem Anschlag auf den engsten Führungszirkel in Syrien, bei dem am Mittwoch der Verteidigungsminister, Assads Schwager und ein hochrangiger Militär getötet worden waren, verstärkt die Opposition den Druck auf Präsident Baschar al-Assad. Bewohner der Hauptstadt Damaskus berichteten gestern von Kämpfen in Sichtweite des Präsidentenpalastes und des Regierungsviertels. Wie die Lokalen Koordinationskomitees (LCC) der Opposition berichteten, drohte die Freie Syrische Armee am Mittwoch damit, das staatliche Rundfunk- und Fernsehgebäude anzugreifen, und forderte die Leitung auf, die Mitarbeiter zu evakuieren. Auf der Website der LCC sind auch Videos zu sehen, die friedliche Demonstrationen in mehreren Städten und Schießereien in der Nacht zu Donnerstag zeigen sollen.
Regierungstruppen und Rebellen lieferten sich gestern den fünften Tag in Folge Kämpfe in Damaskus. Berichten von Aktivisten und Bloggern zufolge fanden die Gefechte in mehreren Vierteln sowie in Vororten statt. Die Regierung setzte auch Artillerie gegen die meist nur mit Gewehren und Granaten bewaffneten Aufständischen ein.
Ein Vertreter der Sicherheitsdienste sagte, die „extrem heftigen Gefechte“ würden noch zwei Tage andauern. Es gehe darum, die Hauptstadt vor Beginn des islamischen Fastenmonats Ramadan am Freitag „von Terroristen zu säubern“. Bislang hätten sich die Truppen „zurückgehalten“, aber nach dem Anschlag vom Mittwoch sei die Armee „entschlossen, alle in ihrem Besitz befindlichen Waffen zur Anwendung zu bringen“. Syrien soll auch über chemische Waffen verfügen.
Die Gefechte dauerten ohne Unterbrechung an, berichteten Bewohner. Hunderte Familien seien auf der Flucht, fänden aber keinen Schutz. „Die Flüchtlinge können nirgendwo hin. In ganz Damaskus wird gekämpft“, berichtete eine Bewohnerin. Die philippinische Regierung gab bekannt, dass sie ein Team nach Syrien schicken werde, um ihre rund 9.000 dort lebenden Staatsbürger zu evakuieren.
Unklar war der genaue Aufenthaltsort des Präsidenten, der seit dem Attentat nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten ist. Er soll sich aber noch in Syrien aufhalten. Nach Angaben aus offiziellen Kreisen befehligte Assad von seinem Palast in Damaskus aus den Einsatz der Regierungstruppen. In der Hauptstadt kursierten aber auch Gerüchte, Assad habe das Land verlassen oder sei verletzt worden.
In Kreisen der Opposition hieß es, der Präsident habe sich in die Hafenstadt Latakia am Mittelmeer zurückgezogen. Latakia liegt etwa 75 Kilometer Luftlinie nördlich von Tartus, wo sich eine russische Militärbasis befindet und wohin Moskau bereits vor Wochen die Entsendung von Kriegsschiffen mit Marinesoldaten für eine mögliche Evakuierungsaktion angekündigt hatte.
Ein Berater des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau widersprach allerdings Berichten, Russland könne Assad Asyl gewähren. Darüber hätten Putin und US-Präsident Barack Obama bei einem Telefonat nicht gesprochen, hieß es.
Deutschland und andere westliche Länder drängen auf UN-Sanktionen, um die Gewalt einzudämmen. Allerdings war wenige Stunden vor Beratungen des Sicherheitsrats am Donnerstag ein Einlenken von Russland und China nicht in Sicht. Das Mandat für die UN-Beobachter in Syrien läuft am 20. Juli ab.
UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon und China verurteilten den Anschlag von Damaskus. Ban rief in Peking die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats auf, wirksame Schritte gegen die zunehmende Gewalt zu unternehmen. „Das syrische Volk hat zu lange gelitten. Das Blutvergießen muss sofort beendet werden“, forderte Ban.
Bundesaußenminister Guido Westerwelle appellierte an Russland und China, „für die Menschen in Syrien Verantwortung zu übernehmen und zu einer Stabilität der gesamten Region beizutragen“. Die Gewalt könne nur durchbrochen werden, wenn sich der Sicherheitsrat auf eine Resolution einige. Westerwelle verurteilte den Anschlag auf die syrische Führung nicht ausdrücklich. „Die Gewalt kehrt nun dorthin zurück, wo sie ihren Ausgang genommen hat, nämlich ins Machtzentrum des Assad-Regimes nach Damaskus“, kommentierte der Bundesaußenminister laut einer Erklärung des Auswärtigen Amts. B.S., JAZ
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