: Nur Oma rettet vorm Kita-Notstand
Viel Getöse, wenig Fortschritt: Um die Kinderbetreuung in Deutschland steht es immer noch schlecht. 40 Prozent der Kinder unter sechs werden einzig von Verwandten versorgt. Trotzdem sieht die CDU keinen Bedarf, sich für mehr Kitas einzusetzen
VON COSIMA SCHMITT
Ohne Oma und Opa läuft wenig in deutschen Familien. Sie hüten den Enkel – und springen ein, wo der Staat versagt. Nur etwa jedes zweite Kind unter sechs besucht einen Kindergarten oder eine Tagespflege-Stätte. Zwei von fünf werden einzig von Verwandten umsorgt. Wer keine Großeltern in der Nähe hat, kann nur selten auf den Babysitter Kita setzen. Das belegt eine aktuelle Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums. Die Ergebnisse sollen in den Familienbericht der Regierung einfließen, der im August veröffentlicht wird.
Vor allem zwei Gründe sind demnach für den Betreuungsnotstand verantwortlich. Zum einen gibt es viel zu wenige Plätze für die Ein- bis Dreijährigen. Nur die östlichen Bundesländer bieten etwa jedem dritten Kind unter drei einen Krippenplatz. Im Westen aber gehen acht von zehn Eltern, die ein Krippenplatz wünschen, leer aus.
Auch bemängelt jeder zweite der befragten Eltern das Angebot der Einrichtungen. Etwa jeder dritte Kindergarten öffnet demnach zu spät. Und lediglich einer von zwanzig bietet auch nach 18 Uhr noch eine Betreuung an.
So müssen viele Mütter und Väter, die Vollzeit arbeiten, einen privaten Babysitter organisieren. Familiengründer stehen gleich mehrfach unter Druck. In Zeiten der Jobnot fordern Chefs vollen Einsatz im Betrieb. Und längst nicht jedes Paar findet einen Job in der Heimatstadt, wo auch die Großeltern leben. Experten werten dies als eine Ursache, warum Kinderwunsch und Praxis stark auseinander driften – und warum Frauen eher ein Kind gebären, wenn ihre Mutter am Ort wohnt. Die neue Studie rechnet es vor: Gäbe es Kitas für jeden, der sie braucht, dann könnten bis zu 22 Kinder mehr je hundert Frauen geboren werden, so der Bericht unter Berufung auf eine Prognos-Studie von 2005 und den Bevölkerungsforscher Hans Bertram.
Die Daten gewinnen an Brisanz angesichts der aktuellen politischen Debatte. Die SPD kann sich bestätigt fühlen in ihrer Politik – und in der Entscheidung, die Kita-Offensive zum Wahlkampfthema zu machen.
Der Union hingegen dürfte es schwerer fallen, ihren Gegenkurs zu begründen. Die CDU nämlich setzt familienpolitisch vor allem auf ein Ziel: Sie möchte einen Kinderbonus von 50 Euro auf die Beiträge zur Rentenversicherung gewähren. Ein Einsatz für bessere Kinderbetreuung sei durchaus diskutiert worden, sagte CDU-Chefin Angela Merkel. Durchsetzen konnten sich die Kita-Befürworter nicht.
Noch vor wenigen Monaten hatte das anders geklungen. Im Januar hatte Merkel selbst die Kommission „Frauen, Familie und Beruf“ eingesetzt. Sie sollte Wege aufzeigen, wie sich das Kind-oder-Karriere-Dilemma mindern ließe. Dass mehr Kitas ein nötiger Schritt seien, war auch in der Union eine gängige Position. Maria Böhmer etwa, Vize der Unions-Bundestagsfraktion, plädierte für Kitas als Chance gerade für Kinder aus sozial schwachen Familien.
Solche Stimmen sind derzeit verstummt. Einschieden verteidigt Merkel die Abkehr vom Kita-Ausbau. Doch mit dieser Position steht die Union recht alleine da. Nicht nur Familienministerin Renate Schmidt (SPD) bemängelt, die Union fördere die traditionelle „Alleinverdienerehe“. Nahezu unisono erheben sich die Stimmen der Kritiker. Ludwig Georg Braun etwa, Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer, findet „eine gute Infrastruktur zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf entscheidend“ als Mittel gegen den Kindernotstand im Land. Auch die FDP ist wenig glücklich mit dem Programm des möglichen Koalitionspartners. Da sei „nicht viel drin, was Familien voranbringt“, sagte FDP-Familienpolitiker Daniel Bahr.