: Casanova im Keller
THEATER Im kleinsten Theater Bremens rückt Benedikt Vermeer seinem Publikum ganz dicht auf die Pelle. Nächste Woche ist seine Inszenierung von „Casanova“ zu sehen
VON JENS LALOIRE
Bereits auf der Straße begrüßt Benedikt Vermeer jeden einzelnen seiner Gäste persönlich und weist den Weg hinunter zu seinem kleinen Theater. Über eine Treppe gelangen die Besucher in den Keller. Dort stehen Wein, Wasser und Gläser zur Selbstbedienung bereit. Eine Kasse gibt es nicht, kassiert wird nach der Vorstellung, und zwar nach dem Prinzip: jeder so viel, wie er kann.
Nach und nach nehmen die Gäste in dem 140 Jahre alten Weinkeller auf den Stühlen Platz. Auf den roten Kissen sitzt man bequem, die Atmosphäre im schummrigen Licht des holzvertäfelten Raumes ist angenehm. Die Zuschauer flüstern, im Hintergrund läuft ein französisches Chanson, eine große Standuhr schlägt acht. Schlüsselrasseln. Vermeer tritt ein, schließt die Tür hinter sich und begrüßt sein Publikum ein zweites Mal: „Herzlich willkommen im Literaturkeller, dem Theater mit der größten Auslastung in Bremen.“
Die Gäste lachen. Zwar sind an diesem Abend tatsächlich nur zwei Plätze frei geblieben, allerdings auch nur 18 besetzt, denn der Literaturkeller ist nicht bloß das Theater mit der größten Auslastung in Bremen, er ist auch das kleinste. 20 Zuschauer finden Platz im Keller des Theaterkontors, in dem der freie Schauspieler Benedikt Vermeer jeden Montag, Dienstag und Mittwoch ab 20 Uhr Literatur zum Leben erweckt.
Vor ein paar Jahren wurde der Keller noch als Lager genutzt. Vermeer entdeckte damals den Raum für sich. „Hier müsste man eigentlich etwas machen“, dachte er, gründete 2009 den Literaturkeller und inszeniert seitdem, neben klassischen Theatertexten wie Goethes „Faust“, Märchen, Gedichte, Kurzgeschichten und Romane.
Meistens tritt er allein vor das Publikum, nur in drei Stücken agiert er gemeinsam mit seiner Frau, der Schauspielerin Gala Z. Dann wird es noch enger auf der Bühne. Wobei das Wort „Bühne“ an sich schon ein wenig problematisch ist, denn es existiert keine abgetrennte oder erhöhte Guckkastenbühne. Vermeer spielt und rezitiert direkt vor den Gästen in der ersten Reihe. Diese Nähe zum Publikum ist ihm wichtig. Es entsteht eine intime Atmosphäre, deren akustische Möglichkeiten ihn reizen. „Hier kann man andere Töne auspacken als auf einer großen Bühne, ein bisschen wie im eigenen Wohnzimmer“, verrät der 48-Jährige.
Dennoch schränkt der begrenzte Platz natürlich den Bewegungsspielraum ein. Vermeer verzichtet deshalb auf die großen Gesten, reduziert sein Spiel und setzt auf seine Mimik und vor allem auf seine Stimme. Er switcht innerhalb weniger Sekunden zwischen verschiedenen Rollen, mimt mit tiefem Bass den Helden oder mit schrillem Krächzen die Hexe, streut Dialekte ein, steigert sich vom Flüsterton in ein Brüllen und variiert das Tempo.
Das, was Vermeer seinem Publikum nahebringt, ist kein klassisches Theater, es sind vielmehr inszenierte Rezitationen. Das Ganze hat Hörspielcharakter und lockt in letzter Zeit vermehrt Studenten in seinen Keller. „Die jungen Leute kommen, weil sie wieder Hörspiele und Hörbücher für sich entdecken“, vermutet der gebürtige Heidelberger, der in England Schauspiel studiert hat und Anfang der 90er-Jahre nach Bremen kam, um in Ottersberg ein Studium der Theaterpädagogik dranzuhängen.
In Bremen gründete er 1993 das inzwischen wieder aufgelöste „Theater Satyricon“, 2001 das noch aktive „Trio LiMUSiN“. Mit den beiden Musikern Ihno Tjark Folkerts (Violine) und Suren Anisonyan (Violoncello) ist Vermeer an jenen Tagen unterwegs, an denen er nicht im Literaturkeller spielt. Das Trio verbindet Kammermusik mit rezitierendem Schauspiel. Als er vor drei Jahren sein Theater gründete, hatte er durch seine Arbeit in dem Trio bereits neun einstündige Stücke im Repertoire. Inzwischen sind es fünfzehn, die er in seinem kleinen Theater und bei Gastspielen dem Publikum präsentiert.
Auch im Sommer bietet sich Interessierten die Chance, in den ehemaligen Weinkeller hinabzusteigen. Bei einem Glas Merlot können sie erleben, wie ihnen der Dichter, Spion und Frauenheld Giacomo Casanova ganz dicht auf die Pelle rückt.
■ „Casanova“ am Montag und Dienstag, 20 Uhr, Literaturkeller