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Archiv-Artikel

Schwieriger Schirm

Lange sah es so aus, als ob der diesjährige Christopher Street Day (28. Juli) ohne Schirmherr auskommen müsste. Ob Daimler, EnBW oder IHK – alle sagten ab. Jetzt tritt der Berliner Unternehmer Harald Christ (40) an, den man schwul, aber nicht schrill nennen darf. Er findet die Haltung der Wirtschaft schockierend

Von Matthias Staber

Herr Christ, die Stuttgarter IHK hat die Schirmherrschaft abgelehnt. Ihr Hauptgeschäftsführer Andreas Richter meint: „Die Parade mit Leuten, die sehr bunt bis kaum bekleidet sind, ist nichts, womit Unternehmen etwas anfangen können.“ Als Privatperson darf Herr Richter gerne eine kritische Meinung zum CSD haben. Aber sobald er als Repräsentant der IHK spricht, würde ich mir mehr Sachkenntnis und Ausgewogenheit wünschen. Es ist schockierend, wenn die offizielle Weigerung eines Spitzenvertreters der Wirtschaft, die politische Dimension des CSD zu unterstützen, in solch harten Worten daherkommt. Es widerspricht allen Erfahrungen, die ich in vielen Jahren der Zusammenarbeit mit Verbänden und Spitzenfunktionären gesammelt habe.

Ist die Wirtschaft beim Thema Homosexualität weiter, als es Richters Einlassungen vermuten lassen?

Man ist zumindest als Funktionär normalerweise so gut beraten, sich vor einer Äußerung über das Thema zu informieren und nicht zu pauschalisieren. Stichwort Bekleidung: wie der Karneval auch, hat der CSD eine folkloristische Komponente. Die Teilnehmer des CSD sind in ihrem normalen Berufsleben nicht so angezogen, schlüpfen aber für einen Tag in Kostüme, demonstrieren Farbenpracht – auch, um zu polarisieren. Das gibt es auch bei Heterosexuellen: Hochrangige Politiker tauchen mitunter im Clownskostüm beim Karneval auf. Und es gibt Clubs, in denen Topmanager am Wochenende Cowboy oder Ritter spielen. Nur bei Homosexuellen wird bewusst und wider besseres Wissen das Thema Kleidung herausgegriffen, um Homosexualität als andersartig zu brandmarken.

Das dürfte unter Homophobie zu verbuchen sein.

Dass es solche Ressentiments hinter vorgehaltener Hand in der Wirtschaft gibt, ist kein Geheimnis. Die Wirtschaft ist nicht so weit, wie sie sein sollte. Aber bestimmt weiter, als die Äußerungen der IHK Region Stuttgart vermuten lassen. Sie hat mehr homosexuelle Mitglieder, als Andreas Richter wahrhaben will.

Empfehlen Sie Herrn Richter doch mal eine Sprachregelung.

Es sollte Aufgabe der IHK sein, mit einer demonstrativen Akzeptanz von Vielfalt für den Wirtschaftsstandort Stuttgart zu werben: Schaut her, wir sind offen für euch, wir brauchen euch als Fachkräfte und Konsumenten. So sollte die Botschaft lauten. Dafür gibt es keine bessere und billigere Werbung als die Schirmherrschaft über den CSD. Das Verhalten der IHK ist ökonomischer Unsinn. Die Handwerkskammer Stuttgart hat ein Grußwort zum CSD geschrieben und sich völlig anders verhalten, um auch ein positives Beispiel zu nennen.

Handelt es sich beim CSD um eine politische Veranstaltung oder um eine Party?

Der CSD wird in den letzten Jahren immer stärker als Anlass zum Feiern genommen, das ist richtig. Aber der CSD ist und bleibt eine politische Parade, deren Ziel es ist, auf die Interessen von Homosexuellen und anderen Minderheiten aufmerksam zu machen.

Die Party-Schiene schadet der politischen Botschaft nicht?

Im Gegenteil: für die Außenwirkung ist sie gut, denn dadurch bekommt man eine große Interessengruppe mobilisiert. Für eine rein politische Programmparade würden Sie in Stuttgart keine 200000 Leute auf die Straße bekommen.

Diskriminierung von Homosexuellen gebe es nicht mehr, höchstens auf dem Land, heißt es manchmal. Ist da was dran, oder ist das Unfug?

Es hat sich politisch sehr viel getan, was die Rechte der Homosexuellen in Deutschland anbelangt. Und zwar im Konsens aller großer Parteien, auch der CDU, die das Thema vielleicht nicht vorangebracht, aber auch nicht verhindert hat. Andererseits gibt es die Diskriminierung nach wie vor. In der Tat haben es Homosexuelle auf dem Land schwerer als in einer Metropolregion. Die Mehrzahl der Deutschen lebt aber nun einmal auf dem Land oder in kleinen Städten. In der Kreativwirtschaft präsentiert sich das Thema anders als in anderen Wirtschaftsbereichen, wo das Outing als Homosexueller immer noch negative Konsequenzen hat. Bis vor wenigen Jahren gab es keinen einzigen offiziell homosexuellen Topmanager. Ganz düster sieht es im Spitzensport aus, vor allem beim Fußball. Ich erinnere an die unsägliche Debatte darüber, ob es homosexuelle Spieler in der deutschen Fußballnationalmannschaft gebe. Dazu ist zu sagen: Natürlich gibt es schwule Topfußballer.

Rosa von Praunheim propagiert das Zwangsouting von prominenten Homosexuellen, um das Thema voranzubringen.

Ich kenne Rosa von Praunheim und schätze ihn sehr – er hat sich um die Aufklärung über Homosexualität in Deutschland sehr verdient gemacht. Aber in diesem Punkt sind wir unterschiedlicher Meinung: Die eigene Sexualität ist Privatsache und Zwangsouting abzulehnen. Wenn man das persönliche Umfeld des Betroffenen nicht kennt, kann ein Zwangsouting Dinge lostreten, die niemand mehr unter Kontrolle hat.

Neben dem Ausdruck „behindert“ wird der Ausdruck „schwul“ bei Jugendlichen immer häufiger als Schimpfwort verwendet. Ist das als wachsende Homophobie zu werten?

Da muss man differenzieren: Meinen diese Jugendlichen wirklich den konkreten Homosexuellen? Oder handelt es sich um ein inhaltsleeres Schimpfwort? Manche Jugendliche zelebrieren in starken Worten eine Ablehnung der Homosexualität, um zu verbergen, dass sie selbst homosexuell sind. Hätten Sie mich in meiner Jugend gefragt, hätte ich auch eine kritische Meinung zur Homosexualität geäußert – gerade, weil ich wusste, dass ich möglicherweise homosexuell bin, und ich mein Umfeld davon ablenken wollte. Verniedlichen darf man das Thema jedoch nicht: Immer noch gibt es Gewaltbereitschaft gegen Homosexuelle. Es gibt Regionen in Deutschland, wo es generell eine große Aggressivität gegen alles gibt, was als andersartig wahrgenommen wird. Das richtet sich nicht speziell gegen Homosexuelle, sondern darunter leiden alle Minderheiten, auch Ausländer. Die Deutschen sollten aus ihrer Geschichte lernen und konsequent gegen diejenigen vorgehen, die sich an Minderheiten vergreifen.

Das diesjährige Thema des CSD heißt „Gleichbeschäftigung“. Wie sieht Diskriminierung konkret am Arbeitsplatz aus?

Sie findet heute subtil statt. In der Teeküche, in der Werkstatt, mit flapsigen Bemerkungen wie „Das ist ja auch so ein warmer Bruder“ oder „Bei dem muss man aufpassen, dass man mit dem Hintern zur Wand steht“.

Ist das von Branchen abhängig?

Durchaus. In Werbeagenturen, im Medienbereich oder im Marketing spielt das Thema so gut wie keine Rolle mehr. Es kann auch in ein und demselben Unternehmen einen Unterschied machen, ob Sie in der Verwaltung oder der Produktion arbeiten. Festzuhalten ist: ob ein Unternehmen das Thema „Diversity“ in seine Firmenpolitik hineingeschrieben hat und damit wirbt, und wie diese Vielfalt tatsächlich im Firmenalltag gelebt wird, sind oft zwei Paar Schuhe. Das diesjährige Motto des Stuttgarter CSD ist deshalb mehr als berechtigt und weist weit über Stuttgart hinaus.

Diskriminierung am Arbeitsplatz hat negative ökonomische Konsequenzen, sagen Sie.

Wenn Sie anders sind und Versteck spielen müssen, Frau, Familie oder Freundin vorgeben, die eigenen Interessen unterdrücken und nicht leben können, führt das auf Dauer zu psychischen Belastungen. Depression oder andere Beeinträchtigungen der Gesundheit können die Folge sein. Darunter leidet die Leistungsfähigkeit. Wer ständig Angst hat, erbringt keine Spitzenleistungen.

Macht es für Homosexuelle einen Unterschied, ob Schwarz-Gelb oder Grün-Rot am Ruder ist?

Leider ja. Bei den Liberalen, der SPD, den Grünen und bei den Linken sind viele homosexuelle Spitzenpolitiker geoutet. Bei der CDU gibt es viele homosexuelle Spitzenpolitiker – aber nicht geoutet.

Woran liegt das?

Möglicherweise glauben viele homosexuelle CDU-Politiker, der konservative Flügel der Partei könne nach einem Outing die politische Karriere zerstören. Aber: obwohl ich SPD-Mitglied bin, sehe ich meine Rolle als CSD-Schirmherr parteineutral.

Wie sieht Ihre Wunschliste an Heterosexuelle im Alltag aus?

Sie bekommen in Deutschland oft zu hören: Ich habe mit Homosexualität kein Problem – aber bitte nicht in meiner Familie, bei meinen Kindern. Mein Wunsch, und da rede ich nicht nur für Homosexuelle, sondern allgemein für Minderheiten: den Menschen mit seinem Charakter in den Vordergrund rücken und Nebensächlichkeiten wie Hautfarbe, Religion oder die sexuelle Ausrichtung nicht in die Beurteilung von Personen einfließen lassen. Ich wünsche mir, dass wir uns zu einem offenen und toleranten Land weiterentwickeln.

Sind Homosexuelle aufgrund der eigenen Erfahrungen automatisch Antirassisten?

Ich muss Ihnen leider sagen, dass es schwule Rassisten, sogar Nazis gibt. Alles andere widerspräche auch meiner These, dass die sexuelle Ausrichtung nichts mit dem Charakter einer Person zu tun hat. Ob jemand schwul oder lesbisch ist, sagt Ihnen nichts über dessen politische Haltung. Faktisch ist es aber so, dass Sie wegen der Erfahrung von Diskriminierung in der homosexuellen Community eher eine liberalere Haltung antreffen als im Durchschnitt der Bevölkerung. Eine generelle Regel lässt sich daraus aber nicht ableiten. In meiner Rede zum CSD als Schirmherr habe ich deswegen betont: Toleranz fordern heißt, selbst tolerant zu sein. Damit meine ich auch Toleranz gegenüber Heterosexuellen, die Berührungsängste haben. Der homosexuellen Community sage ich: Begeht nicht den Fehler, euch in eine Wagenburg zu begeben und mit dem Finger auf Leute zu zeigen, die ihr für intolerant haltet. Dann fangt ihr an, selbst intolerant zu werden.

Welche Rolle spielen die Medien bei der Diskriminierung von Homosexuellen?

Hier ist noch eine Menge nachzuholen. Es gibt Journalisten, die das Thema aufgeschlossen behandeln – und es gibt Medien, in denen sich Ressentiments herauslesen lassen. Ein Beispiel: als ich 2009 im Schattenkabinett von Frank-Walter Steinmeier Kandidat für das Amt des Wirtschaftsministers wurde, titelte eine große Zeitung „Schwuler Multimillionär im Schattenkabinett von Steinmeier“. Im ersten Absatz stand: „Der schrille Unternehmer Harald Christ.“ Von mir aus kann man meine Vermögensverhältnisse zum Thema machen, meinetwegen mich auch als „schwul“ bezeichnen – aber in der Kombination mit „schrill“ ist das eine unsägliche Ansammlung von Klischees und Ressentiments. Da sitzt jemand mit einer Federboa, der Wirtschaftsminister werden will: So ein Bild wird dem Leser vermittelt. Das Letzte, was ich bin, ist schrill.

Harald Christ ist bekannt geworden, als ihn Frank-Walter Steinmeier 2009 in sein Schattenkabinett geholt hat – als potenziellen Wirtschaftsminister. Der 40-Jährige ist gelernter Industrie- und Bankkaufmann und als Unternehmer im Bereich der Bank- und Finanzwirtschaft tätig. Er plädiert für eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes, die ihn selbst treffen würde.