: Der neue Moses
Die CDU im Land ist schwer angeschlagen. Und keiner bringt sie auf die Beine, keinem wird zugetraut, die nächste Wahl zu gewinnen. In ihrer Not denken sie an einen, der vor zwei Jahren nach Brüssel entsorgt wurde: Günther Oettinger
Von Hans Peter Schütz
So schwer ist Volker Kauder der Urlaub noch nie gefallen wie dieses Jahr. Zwar wandert er, wie immer in der Sommerpause, durch seinen Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen. Theoretisch steht die Sommertour 2012 unter dem Motto „Heimat und Kultur“. Praktisch läuft in seinem Kopf ein ganz anderes Problem umeinander: Wie sag ich es nur meiner CDU?
An diesem Samstag muss er antreten und seinen Parteimann stehen. Auf dem CDU-Landesparteitag in Karlsruhe, wo die baden-württembergische CDU nach dem Machtverlust nach 58 Jahren aufgemöbelt werden soll, für die Rückeroberung der Macht, die sie 2011 an eine grün-rote Koalition verloren hat. Und wie: 2006 hatte die CDU noch 44,2 Prozent der Stimmen kassiert, im März 2011 waren es nur noch 39 Prozent. Das Debakel könnte frühestens 2016 wiedergutgemacht werden.
Kauder, immerhin CDU-Generalsekretär der Bundespartei, soll seiner Partei sagen, in einem Grußwort zum Landesparteitag, wie das klappen könnte. Ist denn das überhaupt möglich? Wer Kauder diese Frage stellt, hört zunächst einmal einen tiefen Seufzer. „Das wird ein ganz schwieriges Grußwort.“
Dank Mappus liegt die CDU knocked out am Boden
Warum ist klar. Dank Stefan Mappus liegt die Landes-CDU knocked out am Boden. Der zentrale Leitantrag, für den Kauder bei der Basis Stimmung machen soll, heißt: „Auf sicherem Fundament. Vielfältig, bodenständig, bürgernah. Moderne Bürgerpartei auf sicherem Fundament.“ Die hehren Worte übersetzen viele CDU-Mitglieder auf gut Schwäbisch mit: „Mir sind im Arsch!“ Dagegen soll Kauder anreden? In einem Grußwort?
Gegen Exministerpräsident Mappus ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Untreue, bei der dem Land Baden-Württemberg ein Schaden von 840 Millionen Euro entstanden sein könnte. Er hatte den Rückkauf der Aktien von dem französischen Energiekonzern Électricité de France (EDF) hinter dem Rücken des Landtags durchgezogen. Das war verfassungswidrig, urteilte der Verfassungsgerichtshof. Geholfen hat ihm dabei Exfinanzminister Willi Stächele, der das Geschäft in der Nacht vor seinem Inkrafttreten unterschrieb, ohne zu wissen, um was es tatsächlich ging. Auch er ist jetzt wegen Untreue im Visier der Staatsanwälte. Als Landtagspräsident ist er deswegen schon „abgeschossen“ worden. Und wg. Untreue dran ist auch Helmut Rau, einst Minister im Stuttgarter Staatsministerium, als Mappus dort amtierte.
Was soll ein Kauder Aufmunterndes sagen? Soll er die Worte benutzen, die wichtige CDU-Bundestagsabgeordnete gegenüber stern.de, Anonymität zugesichert, benutzen? Etwa: „Wenn der Stächele ein einziges Mal in seinem politischen Leben einen Arsch in der Hose gehabt hätte, hätte er das stoppen müssen.“ Doch Stächele habe gekniffen, statt Mappus zu sagen: Wenn meine Unterschrift von mir erwartet wird, stelle ich mein Amt zur Verfügung. Dann hätte die baden-württembergische CDU, „jetzt wenigstens einen einzigen Helden“.
So aber denkt die CDU-Basis: Wir haben doch nur noch Verlierer. Das derzeitige Führungsduo sei ja nicht mehr an den Mann, sprich, den Wähler zu bringen. Zu diesem Ergebnis gelangt auch die selbstkritische Analyse der baden-württembergischen CDU-Landesgruppe im Bundestag, immerhin 37 Abgeordnete stark. Einige von ihnen müssen damit rechnen, nicht in den Bundestag zurückzukommen, wenn das Mappus-Tief bis zur Bundestagswahl im nächsten Jahr andauert.
Mit Sorge blicken daher einige Abgeordnete in diese Woche, wenn die Landesgruppe wieder einmal geschlossen zu der Sondersitzung des Bundestags zusammensitzt. Dann werden voraussichtlich die zahlreichen Interviews kritisiert, die zum Mappus-Thema bereits abgesondert worden sind.
Kauder war „immer der dickste Mappus-Freund“
Besonders missfiel vielen, dass Unionsfraktionschef Kauder in der „Welt am Sonntag“ erklärt hat, Mappus habe als Ministerpräsident „eine Reihe wichtiger Entscheidungen vorangebracht“. Auch der Milliardendeal, so Kauder, sei „in der Sache richtig“. Darauf reagieren einige stocksauer: „Der muss ja solchen Unsinn reden, denn er war immer der dickste Mappus-Freund.“
Andere jammern über den neuen Parteichef Thomas Strobl und Landtagsfraktionschef Peter Hauk: „Unser neues Führungsduo ist wahnsinnig schwer an den Mann zu bringen. Die kommen einfach nicht an.“ Strobl habe zu viele Ämter an der Backe und sei der Generalsekretär von Mappus gewesen, Hauk habe ihm als Fraktionsvorsitzender kritiklos gedient. Fazit: „Die wissen beide, dass sie nur Funktionsträger des Übergangs sind.“ Dass die jetzt sagten, sie hätten mit Mappus nichts zu tun, „nimmt denen doch keiner ab“. Besonders Hauk sei nicht glaubwürdig, „wenn er jetzt wild auf Mappus losgeht“.
Und einer presst wütend den Satz heraus: „Nächstes Jahr stehen doch Angela Merkel und ich zur Wahl und nicht dieser Herr Mappus.“ Der begnüge sich mit „viel zu viel unkritischer Selbstbetrachtung und distanziere sich auch nicht von seinem Helfershelfer Dirk Notheis.“ Es fallen Sätze bei der Analyse der CDU-Lage im Blick auf die Bundestagswahl wie: „War der CDU-Ministerpräsident nicht die Marionette eines windigen Bankers?“ Oder: „Einer wie Mappus hätte niemals Ministerpräsident werden dürfen.“
Jetzt müsse Schluss sein mit den vielen Interviews. Das störe das ohnehin gestörte Harmoniebedürfnis der CDU in Baden-Württemberg nur noch mehr. „Wer immer nur in den Rückspiegel schaut, kommt nie in der Zukunft an.“ Es ist nicht so sehr die in einem Jahr bevorstehende Bundestagswahl, die bekümmert. „Da weiß doch jeder in der CDU: Es geht um Merkel, nicht um Mappus.“
Der Wunschkandidat heißt Günther Oettinger
Wer aber könnte der CDU-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl 2016 sein? Das sei die entscheidende Frage. Man müsse nur auf die CDU in Rheinland-Pfalz blicken. Weit über ein Jahrzehnt nach ihrem Zusammenbruch stehe die immer noch nicht auf sicheren Beinen. „Man muss sich schnell wieder regierungsfähig machen“, sagte ein CDU-Bundestagsabgeordneter, „das ist die Herausforderung für den Landesverband.“
Was besonders schmerzt: weit und breit ist kein potenzieller Landesvater in Sicht. Fündig werden die suchenden Blicke nur in Brüssel. „Wir müssten mal mit Oetti reden“, sagt einer, der häufiger mit dem baden-württembergischen EU-Kommissar zu tun hat. Leider habe der seine Rolle in Brüssel gefunden, wohin er auf Druck von Merkel auf den Posten eines EU-Kommissars abgeschoben worden war. „Der hat seinen Hafen gefunden“, weiß der Oettinger-Kenner.
Aber die Fantasien der Landes-CDU kennen keine Grenzen beim hilflosen Blick auf einen neuen Spitzenmann im Sinne eines Lothar Späth oder Erwin Teufel. Und deshalb sehen die Wunschgedanken so aus: Wenn die CDU die nächste Bundestagwahl verliert und von Rot-Grün abgelöst wird, dürfte auch der EU-Vertrag von Oettinger nicht verlängert werden. EU-Posten werde die neue Regierung dann mit eigenen Leute besetzen. Und Oettingers Fünfjahresvertrag endet 2015 – passend zur nächsten Landtagswahl. Das wäre dann eine besondere Form der Erneuerung und des Neuanfangs: Man holt die alten Köpfe zurück. Denn, so sagt ein CDU-Mann: „Uns fehlt ein Moses, der uns ins Gelobte Land führt.“