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Düstere Paarungen

Hamburgs Kunsthalle zeigt Arbeiten von Max Beckmann unter der Frage nach dem Geschlechterbild des Malers. Brüche traditioneller Vorstellungen bleiben da sehr subtil

Von Hajo Schiff

Alle fünf bis sechs Jahre zeigt die Hamburger Kunsthalle, die selbst über einen großen Bestand verfügt, eine größere Ausstellung zu dem 1884 in Leipzig geborenen, 1950 in New York verstorbenen Max Beckmann. Der wurde oft als wichtigster deutscher Maler der Moderne eingeschätzt, gerade wegen seines Beharrens auf der narrativen Figürlichkeit. Wenn er in Hamburg nun wieder ausgestellt wird, geht es diesmal um Beckmanns Auffassung der Geschlechterbeziehungen unter dem folgerichtigen Titel: „Weiblich – Männlich“.

So blicken im zweiten Stockwerk der Galerie der Gegenwart viele, meist schwarze Augen männlicher und weiblicher Personen die zahlreichen Be­su­che­r*in­nen aus den Bildern fragend an: Was bedeute ich für Euch? Außerdem stellt sich der nicht uneitle Künstler selbst vor. In seinen vielen Selbstporträts – über 100 sind bekannt – gibt sich der quadratschädelige Champagnerliebhaber Beckmann stets betont männlich und kantig, energisch selbstbewusst, gutgekleidet und mondän.

Nach dieser ersten starken Selbstpräsentation fragt die Bildauswahl in weiteren sieben Kapiteln nach dem Verhältnis von Männlichkeit und Weiblichkeit im Werk. In den „Doppelselbstporträts“ schauen der Künstler und seine jeweiligen Frauen aus dem Bild, erst Minna Tube, später Mathilde von Kaulbach, genannt „Quappi“: Eine demonstrative Gleichberechtigung – es muss nicht betont werden, dass Beckmann Minna, die er an der Weimarer Kunstschule kennengelernt hatte, das Malen nach der Heirat untersagte; auch wollte er nicht, dass seine zweite Frau Quappi als Sängerin Karriere machte. Dem Verhältnis zwischen männlichen, als dominant gedachten, und weiblichen, als sanft und zart gedachten Anteilen in den Bildern der Freunde und Förderer gelten die nächsten Abteilungen – wobei solche Zweiteilung dann doch auch ein Klischee ist.

Auffällig – und kunstgeschichtlich eine Binsenweisheit – ist, dass Beckmann im Gegensatz nicht nur zu seinen Zeitgenossen, die malerische Unfarbe Schwarz immer wieder exzessiv einsetzt: vor allem, aber nicht nur als Konturline. Schon allein das stimmt seine Bildwelt immer etwas ins Düstere.

So scheint es, dass kaum jemandem in diesen Bildern die Chance des Glücks winken wird; oft dominiert eine untergründige Melancholie und ein mögliches Scheitern diese Bildwelt – was über die jeweilige Thematik hinaus ja auch die Verfasstheit der krisenhaften Moderne insgesamt spiegelt.

Bars und Hotellobbys, Ein- und Übergänge sind besonders geeignete Orte für vorübergehende Identitäten und Beziehungen, die schönen Damen dort sind häufig von zweifelhaftem Ruf: Besonders im niederländischen Exil malte Beckmann solche Passagenmomente. Dazu sind wie die meisten Themenstellungen gerade Geschlechterbeziehungen gut im Beispiel der Mythen abzuhandeln. Beckmann nutzte diese künstlerische Darstellungsmöglichkeit ausgiebig: Mars und Venus (1939), Odysseus und Kalypso (1943), und im Beginn Adam und Eva: Wer hat die Macht? Liebe und (Geschlechter-)Krieg, intime Verzauberung und ausgreifende Welterfahrung – gibt es nur Opposition oder sind Lust und Leid und zweisame Einsamkeit doch alles notwendige Elemente einer sinnvollen Gemeinsamkeit? Die oft eng ineinander verflochtenen Figuren zwischen Anziehung und Fremdheit lassen sich durchaus auch als Zeichen gegenseitiger Abhängigkeit lesen.

Bei alledem geht Beckmann mit den Mythen kritisch um. Europa auf dem Stier als Aufbruch in eine großartige Zukunft? Nein, Europa hängt vom Rücken herab, vergewaltigt und erschöpft, fast herab gleitend von dem hochnäsig das Bild dominierenden Rindvieh. Alles ist mehr Katastrophe als ein neuer Aufbruch. Die Gouache von 1933 – auch hier wieder reichlich Schwarz, diesmal Kohlestift – mag die Stimmung nach der Übergabe der Reichsregierung an Adolf Hitler ausdrücken; heute scheint sie ein treffendes Bild für die aktuelle Agonie der EU.

Es scheint, als würde kaum jemandem in diesen Bildern die Chance auf Glück winken. Stattdessen: Melancholie und drohendes Scheitern

Beckmann erlebte intensiv, wie die Albträume der späten Kaiserzeit in die Realität des ersten Weltkriegs mündeten, als freiwilliger Sanitäter im Feld sah und gestaltete er schreckliche Szenen. Und die soziale Wirklichkeit danach war oft kaum weniger brutal: Die Lithographie „Das Martyrium“ (aus „Die Hölle“, Blatt 4) zeigt den Mord an Rosa Luxemburg und ist eine anklagende, chaotisch-dynamisch jede Raumorientierung auflösende Darstellung von picassoesker Dichte. In Deutschland dann als „entartet“ gebrandmarkt, ging Beckmann 1937 ins Exil nach Amsterdam. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde er als Professor in die USA berufen – Leiter der Hamburger Kunsthochschule zu werden, lehnte er ab.

In seinem Spätwerk ist häufig die Sehnsucht nach Verschmelzung zu finden – nicht nur der Geschlechter, sondern der ganzen Schöpfung in eine harmonische Einheit. Im „Traum des Bildhauers“ (1946/47) wird der androgyne Schaffende aus dem verhängten Off vom Schöpfer umfasst, derweil das Erschaffene unter der Verdeckung noch der Beseelung harrt. Menschenhafte Wesen entschlüpfen kosmischen Eiern, in Urlandschaften scheinen alle Lebensformen unabgegrenzt zusammen zu existieren. Neben einer champagnerfantastischen Ursuppe scheint sich eine durch Lektüre der Theosophen und der Okkultistin Helena Blavatsky beförderte Vision eines ursprünglich androgynen Ur- und Zukunftsgeschlechts zu manifestieren.

Derartig seltsam visionären, verrätselten Motiven ist der letzte Raum der Hamburger Ausstellung gewidmet. Und hier wären dann, wenn es das Infektionsgeschehen zuließe, akademische Expert*innen zu Kunst- und Genderfragen ansprechbar gewesen: ein populärwissenschaftliches Weiterdenken des Ausstellungskonzepts, das als Veranstaltungen auch Champagnerverkostungen geplant hatte.

„Max Beckmann: Weiblich – Männlich“: bis 14. März, Hamburger Kunsthalle. Derzeit ist die Ausstellung wegen der Corona-Eindämmungsverordnung geschlossen. Weitere Infos im Internet unter:

www.hamburger-kunsthalle.de

Ein Ausstellungskatalog ist im Prestel Verlag mit 240 Seiten erschienen und kostet 45 Euro

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