: Oskar auf dem Scherbenhaufen
Ende August soll die Glashütte in Düsseldorf schließen. Nun besuchte Linkspartei-Spitzenkandidat Oskar Lafontaine die Belegschaft und predigte vom Raubtierkapitalismus und dem starken Staat
AUS DÜSSELDORFKLAUS JANSEN
„Gerresheim ohne Hütte ist wie eine Kirche ohne Altar“, steht auf dem Plakat vor der Bühne, die sie für den Mann aus dem Saarland aufgebaut haben. Hinter dem Redner erhebt sich der frisch restaurierte Turm der Kirche Sankt Margarete, an der Wand hängt ein schweres, dunkles Holzkreuz. Die Kulisse für einen Erlöser.
500 Menschen haben sich am Montagabend auf dem Gerricusplatz im Düsseldorfer Stadtteil Gerresheim versammelt. Eine Solidaritätskundgebung für die 260 Beschäftigten der örtlichen Glashütte, die zum 31. August ihr Werk und ihren Arbeitsplatz verlieren sollen. Hauptredner ist Oskar Lafontaine, der Spitzenkandidat der neuen Linkspartei, und begrüßt wird er wie ein Heilsbringer.
„Ich wäre ein Scharlatan, wenn ich behaupten würde, dass ich euer Problem lösen kann“, ruft Lafontaine den Menschen zu. Aber erklären will er, „aufgrund meiner reichhaltigen Erfahrung“, warum die Geschichte der Glashütte Gerresheim exemplarisch ist „für den Kapitalismus im Allgemeinen und in der Welt“.
Für Lafontaine und die Beschäftigten der Glashütte ist die Geschichte des Unternehmens eine Schurkengeschichte. Auf der Kundgebung wird dazu ein Lied namens „Heuschrecken-Tango“ vom Tonband eingespielt: Böse Ausbeuter in Politik und Wirtschaft gegen brave Arbeiter, so der Tenor des Songs.
In guten Zeiten stellten in Gerresheim 5.500 Menschen Glasflaschen her: Für Heineken-Bier zum Beispiel, bis zu 1.200 Flaschen pro Minute. Dann wurde das 1864 gegründete Familienunternehmen verkauft. Zuerst ging der Betrieb an ein französisches Großunternehmen. Das zog die beiden besten Maschinen aus Düsseldorf ab und gab die Hütte im Jahr 2004 an den Weltmarktführer Owen Illinois (OI) aus den USA weiter.
Seitdem geht es für das Werk in Gerresheim endgültig abwärts. 107 Arbeiter mussten bereits im April gehen, nun soll das Werk komplett schließen. Schuld seien das Dosenpfand, die Steuern auf Alcopops und die Konkurrenz durch Kartonverpackungen, sagen die Amerikaner. „Die haben einem gesunden Menschen die Beine gebrochen und zeigen jetzt einen kranken Menschen vor“, sagt Norbert Ziegert.
Der schnauzbärtige Brillenträger war bis April Betriebsratsvorsitzender der Hütte, er hat die Kundgebung organisiert. Für ihn ist die Strategie der Amerikaner klar: Produziert werden soll in Billiglohnländern, das wertvolle Grundstück in der Düsseldorfer Vorstadt soll gewinnbringend verkauft und das Werk abgeschrieben werden. „Das ist das Perverseste, was es gibt“, findet Ziegert. „Alle Parteien“ habe er angeschrieben und um Redebeiträge gebeten, sagt Ziegert. Nur Oskar Lafontaine habe zugesagt. Der habe sogar versprochen, keinen Wahlkampf zu machen und nur über Gerresheim zu sprechen. Tatsächlich tut Lafontaine das – immerhin fünf Minuten lang.
„Es ist die erste Aufgabe für einen Kommunalpolitiker, sich um einen Standort zu kümmern“, kritisiert Lafontaine die bisherige Untätigkeit von Düsseldorfs CDU-Oberbürgermeister Joachim Erwin. Und auch dessen Parteifreund Jürgen Rüttgers solle sich als neuer Ministerpräsident einschalten, fordert er: „Als ich im Saarland Regierungschef war, haben wir durch Gespräche viele Betriebe retten können.“ Lafontaine empfiehlt zudem Belegschaftsabstimmungen bei Standortfragen: Urteilt man nach dem Applaus der Zuhörer, hätten mindestens 100 Prozent der Gerresheimer für den Erhalt ihrer Hütte gestimmt.
Ab Minute sechs von Lafontaines knapp dreiviertelstündiger Rede ist Gerresheim kein Thema mehr: Statt dessen geht es Lafontaine um Hartz IV, den Afghanistan-Krieg, besonders viel Beifall der mehrheitlich grauhaarigen Zuhörer bekommt er beim Thema Rente. „Die Enteignung der älteren Arbeitnehmer“ will Lafontaine endlich stoppen, genauso wie die „Pogrom-Stimmung“ gegen ihn wegen seiner „Fremdarbeiter-Äußerungen“. Doch auch in Gerresheim sagt der Wahlkämpfer Grenzwertiges: „Diktatorische Vollmachten“ wünsche er, um neoliberale Wirtschaftsprofessoren zu ukrainischen Löhnen arbeiten zu lassen.
Dem Publikum gefällt das so sehr, dass es nach Lafontaine keinen anderen Redner mehr hören will: Als ein Vertreter der rechten Splittergruppe BüSo seine Solidarität mit den Glasarbeitern bekunden will, wird er unter dem Gejohle der Zuhörer von Ordnern in Ledermontur von der Bühne gedrängt. Erlöst hat Oskar Lafontaine die Gerresheimer Arbeiter nicht, begeistert hat er sie trotzdem.
Weil die Linkspartei bei ihren Wahlkampfveranstaltungen die klare Anbindung an ihr Milieu fehlt, weil sie nicht wie die SPD an die Arbeiterwohlfahrt und die CDU an die katholische Landjugend andocken kann, wird Lafontaine bis zum September wohl noch häufiger vor Menschen sprechen, die Gefahr laufen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. „Konkret geplant ist noch nichts“, sagt der nordrhein-westfälische WASG-Chef Wolfgang Zimmermann: „Aber wenn wieder ein Betrieb in Not ist, sind wir da.“